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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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gelangte, standen die Wachen gleichzeitig auf. Sie streckten ihre rechten Arme aus und legten ihre Hände über der Tischmitte turmartig übereinander, um sie dann wieder wegzuziehen und in einer Reihe Aufstellung zu nehmen. Zwei von ihnen, derjenige, den ich für ihren Anführer hielt, und ein anderer, verließen den Salon. Durch die halb geöffnete Vordertür konnte ich sehen, wie die beiden die Treppe in der Mitte des Hauses hinaufstiegen.
    Ich konzentrierte mich wieder auf die Zufahrt, in der Hoffnung, die Person identifizieren zu können, die nach draußen gekommen war, doch dort war es nun völlig still. Vielleicht war es nur der Terrier der Zarin gewesen. Oder ein anderes Tier. Vielleicht hatte ich mir das Ganze auch nur eingebildet. Sollte dort tatsächlich jemand gewesen sein, so war er oder sie jetzt verschwunden.
    In einem der Zimmer im oberen Stockwerk ging das Licht an. Ich konnte Stimmen hören, ein tiefes Gemurmel, und erkannte durch den dünnen Vorhangstoff die Silhouette einer Gruppe von Menschen, die dort dicht gedrängt zusammenstanden, sich dann aber voneinander lösten und im Gänsemarsch zur Tür schritten.
    Ich lief rasch nach links und starrte durch die Bäume auf die Treppe. Einen Moment später erschien Großfürstin Olga, gefolgt von einer kleineren Gruppe von Personen, die ich in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, bei denen es sich meiner Überzeugung nach jedoch um ihren Bruder und ihre Schwestern Maria, Tatjana und Anastasia handeln musste – ich sah sie nur kurz, bevor sie um eine Ecke verschwanden. Die fünf wurden von ihren Eltern getrennt, vermutlich, um sie an einem anderen Ort unterzubringen. Schließlich waren sie noch jung. Sie hatten sich nichts zuschulden kommen lassen. Vielleicht entließ man sie in die Freiheit.
    Aber nein, jetzt erschienen auch der Zar und die Zarin in der Diele und stiegen ebenfalls die Treppe hinab, wobei sie sehr langsam gingen und sich, offenbar völlig entkräftet, gegenseitig stützten. Die beiden Soldaten, die ihnen folgten, dirigierten sie in dieselbe Richtung, in die auch ihre Kinder gegangen waren.
    Dann herrschte Stille. Die im Salon verbliebenen Soldaten erhoben sich und verließen langsam den Raum, der letzte unter ihnen löschte das Licht, und dann verschwanden auch sie um die Ecke und waren nicht mehr zu sehen.
    In diesem Moment fühlte ich mich absolut allein. Die Welt schien ein vollkommen ruhiger und friedlicher Ort zu sein, einmal abgesehen von dem leichten Geraschel der Blätter über mir, die sich in der sommerlichen Brise hin und her bewegten. Ja, dieser Ort entbehrte nicht einer gewissen Schönheit, und als ich die Augen schloss und meine Gedanken in der Stille schweifen ließ, da erfüllte mich mit einem Mal die Hoffnung auf eine zivilisierte Entwicklung unseres Landes, die Zuversicht, dass sich alles zum Guten wenden würde, für immer und ewig. Das Ipatjew-Haus lag nun in vollkommener Dunkelheit. Die kaiserliche Familie war verschwunden. Die Soldaten waren nirgends zu sehen. Wer immer über den Kies der Zufahrt gelaufen sein mochte, war nun außer Sicht- und Hörweite. Ich war ganz allein, verängstigt, unsicher, verliebt. Und mit einem Mal überfiel mich mit der Wucht eines Hurrikans eine bleierne Müdigkeit – ich dachte daran, mich ins Gras zu legen, die Augen zu schließen, einzuschlafen und darauf zu hoffen, dass die Ewigkeit anbrach. Es würde ganz leicht sein, mich einfach auszustrecken und meine Seele in Gottes Hände zu geben, mich vom Hunger und von der Entbehrung übermannen und an einen Ort führen zu lassen, wo ich vor Kolek Borisowitsch stehen und Es tut mir leid sagen konnte.
    Wo ich vor meinen Schwestern niederknien und Es tut mir leid sagen konnte.
    Wo ich auf meine Liebste warten und Es tut mir leid sagen konnte, sobald sie zu mir kam.
    Anastasia.
    Für einen letzten Augenblick war die Welt vollkommen still.
    Dann fielen die Schüsse.
    Zunächst einer, plötzlich, unerwartet. Ich zuckte zusammen, riss die Augen auf und stand wie angewurzelt. Etwas später folgte ein zweiter, und schließlich eine ganze Serie von Schüssen, so als würden die Bolschewiki all ihre Gewehre auf einmal abfeuern. Der Lärm war ohrenbetäubend. Ich war wie versteinert. Während die Schüsse krachten, blitzte zur linken Seite der Treppe ein ums andere Mal ein helles Licht auf und erlosch wieder. Mir jagten alle möglichen Erklärungen durch den Kopf, doch keine davon erschien mir plausibel. Das Ganze geschah so unerwartet, dass ich

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