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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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Entsetzen, und das Knallen von Gewehrschüssen war die Musik, die mir in den Ohren klang. Im Ipatjew-Haus musste etwas Entsetzliches geschehen sein, so viel stand fest. Sollten wir entdeckt werden, so würden wir den Morgen vermutlich nicht erleben.
    Obwohl die Nacht finster und kalt war, sagte mir mein Instinkt, dass wir uns unverzüglich in Richtung Westen begeben und in einer Scheune oder einem Kohlenschuppen Unterschlupf suchen sollten. Ich zerrte Anastasia auf die Beine – sie schien noch immer nicht gewillt, mich aus ihrem Klammergriff zu entlassen – und fasste ihr mit der linken Hand unters Kinn, um ihren Kopf anzuheben und Blickkontakt zu ihr herzustellen. Ich schaute ihr tief in die Augen und versuchte, sie dazu zu bewegen, sich vollkommen auf meinen Blick zu konzentrieren und mir zu vertrauen, und erst als ich spürte, dass sie mir zuhörte, begann ich zu sprechen.
    »Anastasia«, sagte ich leise, aber entschlossen. »Ich weiß nicht, was heute Nacht passiert ist, doch dies ist nicht der Moment, um mir dein Herz auszuschütten. Was immer geschehen ist, es kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Aber eins musst du mir sagen. Nur eine einzige Sache, Liebste. Kannst du das tun?« Sie starrte mich weiterhin an, ohne einen Hinweis, dass sie mich verstanden hatte – ich vertraute einfach darauf, dass es in ihrem Gehirn einen Bereich gab, der nach wie vor aufnahmefähig und ansprechbar war. »Du musst es mir sagen«, fuhr ich fort. »Ich möchte mit dir von hier fortgehen. Jetzt gleich, und ich will dich nicht zu deiner Familie zurückschicken. Anastasia, ist das auch dein Wille? Ist es richtig, wenn ich dich von hier wegbringe?«
    Angesichts der Stille, die auf diese Frage folgte, wagte ich kaum zu atmen. Ich packte sie an den Unterarmen und drückte so fest zu, dass sie unter anderen Umständen vermutlich vor Schmerz laut aufgeschrien hätte, doch sie nahm es einfach so hin. Ich beobachtete ihr Gesicht, verzweifelt auf eine wie auch immer geartete Reaktion wartend, und dann – mir fiel ein riesiger Stein vom Herzen – nickte sie kaum wahrnehmbar mit dem Kopf und sah nach Westen, als wollte sie sagen: Ja, lass uns in diese Richtung aufbrechen. Ich wagte zu hoffen, dass die wahre Anastasia irgendwo in diesem eigenartigen Gesichtsausdruck gegenwärtig war, auch wenn es sie zu sehr angestrengt hatte, mir dieses kleine Zeichen zu geben, und sie nun wieder an meiner Brust erschlaffte. Mein Entschluss stand fest.
    »Wir brechen sofort auf«, sagte ich zu ihr. »Noch vor Sonnenaufgang. Du musst jetzt stark sein.«
    Im Verlauf meines Lebens habe ich oft an diesen Moment gedacht und mir ausgemalt, wie ich mich bücken, sie vom Boden hochheben und in meinen Armen tragen würde, nicht in Sicherheit, aber doch der Sicherheit entgegen. Dies wäre womöglich die heroische Geste gewesen, das Detail, das ein angemessenes Porträt oder einen dramatischen Moment ergeben hätte. Aber das Leben ist kein Heldenepos. Anastasia war ein junges Mädchen von geringem Körpergewicht, doch wie kann ich die Grausamkeit des Wetters beschreiben, die unverschämte froideur der Luft, die in unsere ungeschützten Körperpartien biss, auf eine Weise, die an den abscheulichen Kläffer der Kaiserin erinnerte. Es war, als hätte das Blut unter unserer Haut zu fließen aufgehört und sich in Eis verwandelt. Wir mussten laufen, wir mussten in Bewegung bleiben, schon allein, um unsere Blutzirkulation aufrechtzuerhalten.
    Ich trug unter meinem Mantel drei Schichten von Bekleidung, und so entledigte ich mich, bevor wir uns auf den Weg machten, der äußeren Schicht, legte sie um Anastasias Schultern und knöpfte das Ganze vorne zu. Während ich uns beide vorantrieb, konzentrierte ich mich hauptsächlich darauf, dass wir einen gewissen Rhythmus beibehielten. Wir wechselten kein Wort, und obwohl mich das eintönige Geräusch meiner Schritte hypnotisierte, sorgte ich dafür, dass wir ein gleichmäßiges Tempo einhielten, damit wir nicht aus dem Tritt gerieten.
    Währenddessen spitzte ich die Ohren und achtete auf Anzeichen von Bolschewiki in unserem Rücken. Irgendetwas Schreckliches war in jener Nacht im Haus passiert. Ich wusste nicht was, aber mir schossen alle möglichen Vermutungen durch den Kopf. Das Schlimmste war undenkbar, ein Verbrechen gegen Gott selbst. Aber sollte sich tatsächlich ereignet haben, was ich nicht auszusprechen wagte, so waren Anastasia und ich garantiert nicht die Einzigen, die von Jekaterinburg wegliefen: Soldaten

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