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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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existieren könnten, wäre mir nie und nimmer in den Sinn gekommen. Als ich an mir hinunterschaute, konnte ich sehen, wie die Knöchel an meinen Händen weiß wurden, weil ich die Armlehnen meines Ohrenstuhls so fest umklammert hielt. Vor Anspannung drehte sich mir der Magen um, und jedes Mal, wenn ich meinem vor Nervosität auf dem Marmorfußboden tappenden Fuß Einhalt gebot, blieb dieser nur für einen Augenblick ruhig, bevor er seinen hektischen Tanz aufs Neue begann.
    Der Stuhl war ein Möbelstück von außergewöhnlicher Schönheit. Seine vier Beine waren aus Roteiche geschnitzt, mit feinen, blütenartigen Verzierungen, die sich an den Kanten entlangrankten. In seine seitlichen Kopfstützen waren zwei dicke Schichten aus purem Gold eingepasst, welche wiederum mit dreierlei Arten Edelsteinen besetzt waren, von denen ich jedoch nur eine identifizieren konnte: einen gepunkteten Schweif aus blauen Saphiren, die herrlich funkelten und ihre Farbe veränderten, wenn man sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtete. Der Bezugsstoff war fest über ein Sitzpolster gespannt, das prall mit feinsten Daunenfedern gefüllt war. Als ich mich auf diesem Stuhl niederließ, konnte ich trotz meiner Nervosität einen genüsslichen Seufzer kaum unterdrücken, denn die vergangenen fünf Tage hatten mir keinen anderen Komfort geboten als das unerbittliche Leder des Reitsattels.
    Nachdem der Großfürst Nikolaus Nikolajewitsch durch unser Dorf gezogen und dem Anschlag auf sein Leben entronnen war, sollte noch eine knappe Woche vergehen, bis ich meine Reise zur Hauptstadt des Russischen Reiches beginnen konnte. Meine Schwester Asja hatte den Verband an meiner Schulter zweimal täglich gewechselt, und als die abgewickelten Binden nicht mehr von Blut befleckt waren, meinten die beiden im Dorf zurückgelassenen Soldaten, die mich zu meinem neuen Zuhause begleiten sollten, dass ich nun reisefähig sei. Hätte mich die Kugel ein Stück weiter rechts getroffen, so wäre mein rechter Arm womöglich gelähmt geblieben, doch ich hatte Glück gehabt, und so dauerte es lediglich ein oder zwei Tage, bis die alte Harmonie zwischen Schulter, Ellbogen und Handgelenk wiederhergestellt war. Hin und wieder erinnerte mich ein Stechen knapp oberhalb der verheilenden Wunde an das, was ich getan hatte, und in diesen Momenten verzog ich mein Gesicht, nicht wegen des körperlichen Schmerzes, sondern weil mir wieder gegenwärtig wurde, dass mein spontanes Handeln meinen besten Freund das Leben gekostet hatte.
    Man hatte den Leichnam von Kolek Borisowitsch zunächst hängen lassen. Er pendelte drei Tage lang an der Eibe nahe unserer Hütte, bis die Soldaten seinem Vater, Boris Alexandrowitsch, die Erlaubnis erteilten, ihn abzuschneiden und anständig zu beerdigen. Er tat dies mit Würde. Das feierliche Begräbnis fand ein oder zwei Kilometer außerhalb unseres Dorfes statt – an dem Nachmittag, bevor ich Kaschin verließ.
    »Glaubst du, wir können daran teilnehmen?«, fragte ich meine Mutter am Vorabend der Beerdigung – es war das erste Mal, dass ich ihr gegenüber den Tod meines Freundes erwähnte, so schuldig fühlte ich mich angesichts dessen, was ich getan hatte. »Ich möchte mich von Kolek verabschieden.«
    »Hast du den Verstand verloren, Georgi?«, fragte sie mich, wobei sie die Stirn runzelte, als sie sich mir zuwandte. Sie hatte während der letzten paar Tage für mich gesorgt und mir dabei mehr Aufmerksamkeit geschenkt als in den gesamten vergangenen sechzehn Jahren, und ich fragte mich, ob mein Scharmützel mit dem Tod sie dazu veranlasst haben mochte, die zwischen uns herrschende Entfremdung zu bedauern. »Wir wären dort nicht willkommen.«
    »Aber er war doch mein bester Freund«, beharrte ich. »Und du hast ihn seit dem Tag seiner Geburt gekannt.«
    »Ja, von jenem Tag bis zu dem Tag, an dem er starb«, pflichtete sie mir bei, wobei sie sich auf die Lippe biss. »Aber Boris Alexandrowitsch … also, er hat seine Meinung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht.«
    »Vielleicht sollte ich einmal mit ihm reden«, schlug ich vor. »Ich könnte ihn aufsuchen. Die Wunde an meiner Schulter ist mehr oder weniger verheilt. Ich könnte ihm erklären …«
    »Georgi«, sagte sie, wobei sie sich neben mich auf den Fußboden setzte und mir eine Hand flach auf den Bizeps meines unverletzten Arms legte. Ihre Stimme wurde so sanft, dass ich dachte, sie sei tatsächlich zu einer menschlichen Regung fähig. »Er will nicht mit dir reden, verstehst du?

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