Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
Vom Netzwerk:
schon«, erwiderte sie zögernd. »Ich weiß allerdings nicht, was du davon halten wirst.«
    »Du möchtest, dass wir nach Helsinki ziehen«, sagte ich, denn ich glaubte zu wissen, was sie mir vorschlagen würde, und lachte ein wenig angesichts der Absurdität dieser Vorstellung. »Wir sollen den Rest unseres Lebens im Schatten der Suurkirkko verbringen. Du hast dich in Finnland verliebt.«
    »Nein«, sagte sie, wobei sie den Kopf schüttelte und lächelte. »Nein, das nicht. Ich finde nicht, dass wir hier bleiben sollten. Ganz im Gegenteil. Ich finde, wir sollten noch weiter reisen.«
    Ich schaute sie stirnrunzelnd an. »Noch weiter?«, fragte ich sie. »Wohin? Vielleicht ins Landesinnere? Das wäre natürlich eine Möglichkeit, aber ich fürchte, so ein Abstecher könnte …«
    »Nein, das nicht«, unterbrach sie mich, mit einer klaren und nüchternen Stimme, so als wollte sie nicht riskieren, dass ich ihren Wunsch ausschlug, weil sie zu aufgeregt wirkte. »Ich finde, wir sollten nach Hause fahren.«
    Ich seufzte. Seitdem wir von London aufgebrochen waren, hatte ich befürchtet, dass diese Reise sie zu sehr strapazieren könnte und sie sich über kurz oder lang nach der Wärme und Behaglichkeit unserer vertrauten Wohnung in Holborn sehnen würde. Wir waren schließlich keine jungen Leute mehr. Es fiel uns nicht leicht, so lange auf Achse zu sein.
    »Fühlst du dich krank?«, fragte ich sie. Ich lehnte mich zu ihr hinüber und fasste sie bei der Hand, wobei ich ihr Gesicht nach Anzeichen von Schmerz und Qualen durchforstete.
    »Nicht kränker als sonst.«
    »Die Schmerzen, sind sie zu viel für dich geworden?«
    »Nein, Georgi«, erwiderte sie mit einem kleinen Lachen. »Mir geht’s prima. Warum fragst du mich das?«
    »Weil du nach Hause fahren willst«, sagte ich. »Wenn du das wirklich möchtest, dann tun wir das natürlich. Keine Frage. Aber dieser Urlaub dauert ja nur noch vier Tage, und da wäre es vielleicht besser, wir kehren nach Helsinki zurück und ruhen uns dort aus, bis die Zeit für unseren Abflug gekommen ist.«
    »Ich wollte nicht zurück nach London«, sagte sie schnell, wobei sie den Kopf schüttelte und wieder zu den Kindern hinüberschaute, die lautstark in dem Schneehaufen herumtobten. » Dieses Zuhause habe ich nicht gemeint!«
    »Welches dann?«
    »Na, St. Petersburg«, erwiderte sie. »Wir sind schließlich schon so weit gekommen. Die Fahrt würde nur wenige Stunden dauern, nicht wahr? Wir könnten dort einen Tag verbringen, nur einen einzigen Tag. Hast du dir jemals vorgestellt, dass wir noch einmal auf dem Palaisplatz stehen könnten? Dass wir noch einmal russische Luft schnuppern könnten? Wenn wir es jetzt nicht tun, wo wir St. Petersburg so nahe sind, dann werden wir es nie tun. Was hältst du davon, Georgi?«
    Ich schaute sie an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Als wir uns zu dieser Urlaubsreise entschlossen haben, hat sich zweifellos jeder von uns insgeheim gefragt, ob es dieses Gespräch geben würde, und wenn ja, wer von uns beiden zuerst mit diesem Vorschlag herausrücken würde. Wir hatten geplant, nach Finnland zu reisen, so weit nach Osten zu fahren, wie es das Wetter und unsere Gesundheit zuließen, und in die Ferne zu schauen, um dort vielleicht noch einmal die Schatten der Inseln vor der Wiborger Bucht auszumachen, ja, vielleicht sogar die Spitze von Primorsk – um uns zu erinnern, um zu fantasieren, um zu staunen.
    Keiner von uns hatte jedoch davon gesprochen, dass wir die letzten paar hundert Kilometer bis zu der Stadt zurücklegen sollten, in der wir uns einst kennengelernt hatten. Bis jetzt.
    »Also, ich finde …«, begann ich, wobei ich die Worte langsam und unschlüssig von meiner Zunge rollen ließ, bevor ich den Kopf schüttelte und noch einmal von vorne begann. »Ich frage mich …«
    »Was?«, unterbrach sie mich.
    »Ich frage mich, ob wir dort auch sicher sind.«

Das Winterpalais
    Ich versuchte, mich zusammenzureißen, um nicht allzu sichtbar zu zittern.
    Ich saß auf dem langen, kalten Flur im dritten Stock des Winterpalais, wo der Zar und seine Familie residierten, wenn sie in St. Petersburg weilten. Die goldenen Wände verschwanden in einer einschüchternden Dunkelheit. Da war ich nun, ein grüner Junge aus Kaschin, dem es beinahe den Atem verschlug, als er an all diejenigen dachte, die hier in der Vergangenheit gewandelt waren.
    Natürlich hatte ich einen solchen Prunk noch nie erlebt – dass Räumlichkeiten wie diese auch außerhalb meiner Fantasie

Weitere Kostenlose Bücher