Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
von dem, was ich ihr erzählte, war wahr. Arina hatte meines Wissens nie irgendwelche Gedichte geschrieben. Sie hatte auch keine Kurzgeschichten veröffentlicht oder einen Roman zu schreiben versucht. Das hätte ihr überhaupt nicht gelegen. Es schien, als erfand ich diese kreative Seite ihrer Persönlichkeit, weil ich andeuten wollte, dass ein großes Potenzial viel zu früh ausgelöscht worden war, dass diese Frau nicht bloß einen Menschen eliminiert hatte, sondern auch all die Talente, mit denen dieser Mensch die Welt im Laufe seines Lebens hätte beglücken können. »Ich glaube, es gab bereits einen Interessenten«, fuhr ich fort, wie berauscht von meiner eigenen Lüge. »Ein Verleger, der ihre Kurzgeschichten gelesen hatte, wollte mehr von ihr sehen.«
»Und worum ging es darin?«, fragte sie mich.
»Worin?«
»In dem Roman, den ihre Tochter schrieb. Haben Sie ihn gelesen?«
»Ja, ein oder zwei Kapitel. Es ging darin um Schuld. Und um Schuldvorwürfe. Um unangebrachte Schuldvorwürfe.«
»Hatte sie schon einen Titel für das Buch?«
»Ja.«
»Darf ich fragen, wie er lautete?«
» Das Haus zur besonderen Verwendung «, antwortete ich ohne zu zögern und erschrak darüber, wie viel Wahrheit durch meine Lüge schimmerte, doch Mrs Elliott äußerte sich nicht dazu, sondern wandte sich einfach von mir ab, verlegen angesichts der Richtung, die unser Gespräch eingeschlagen hatte. Auch ich fühlte mich unbehaglich, und mir war klar, dass ich diese Farce nicht mehr lange fortführen konnte.
»Sie müssen wissen, Mrs Elliott«, sagte ich, »dass ich Ihnen nicht die alleinige Schuld an dem gebe, was vorgefallen ist. Und ich … ich hasse Sie auch nicht, falls Sie das glauben sollten. Arina ist auf die Straße gelaufen, heißt es. Sie hätte besser aufpassen müssen. Aber es ist nun nicht mehr zu ändern, oder? Nichts wird sie wieder zurückbringen. Es war mutig von Ihnen, dass Sie mich aufgesucht haben, und ich weiß das auch zu schätzen. Ja, ehrlich. Aber mit meiner Frau können Sie sich nicht treffen.«
»Aber Mr Jatschmenew …«
»Nein«, sagte ich kategorisch, wobei ich mir mit der Hand aufs Knie schlug, wie ein Richter, der seinen Hammer auf den Richtertisch herabsausen ließ. »Das geht leider nicht. Ich werde meiner Frau selbstverständlich erzählen, dass ich mich mit Ihnen getroffen habe. Ich werde sie darüber ins Bild setzen, wie sehr Sie unter dieser Sache leiden. Aber einen persönlichen Kontakt zwischen Ihnen und ihr kann und darf es nicht geben. Das wäre einfach zu viel für sie.«
»Aber wenn ich vielleicht …«
»Mrs Elliott, Sie hören mir nicht zu«, unterbrach ich sie, denn allmählich verlor ich die Geduld. »Was Sie verlangen, ist unmöglich und egoistisch. Sie wollen uns beide sehen, damit wir Ihnen vergeben und Sie mit der Zeit über dieses schreckliche Ereignis hinwegkommen können, um zumindest damit leben zu können, auch wenn Sie es vielleicht nie vergessen werden, aber wir können das nicht, und es ist auch nicht unsere Aufgabe, Ihnen dabei zu helfen, die Folgen dieses Unfalls zu verarbeiten. Ja, Mrs Elliott, ich weiß, es war ein Unfall. Und wenn es Ihnen irgendwie hilft, ja, dann vergebe ich Ihnen. Aber suchen Sie mich bitte nie wieder auf! Und hüten Sie sich davor, mit meiner Frau in Kontakt zu treten! Sie wäre so einem Treffen nicht gewachsen, verstehen Sie?«
Sie nickte und begann, leise vor sich hin zu schluchzen, doch ich dachte mir, nein, dies ist nicht der Moment, wo du zum Trostspender wirst. Wenn sie Tränen hat, so soll sie sie vergießen. Wenn Sie Schmerzen hat, so soll sie sie spüren. Sollen ihre Kinder doch mit ihr reden und ihr die Dinge sagen, die sie hören muss, um ihren Weg durch diese dunklen Tage zu finden. Sie hat ihre Kinder schließlich noch.
Es war Zeit für mich, nach Hause zu gehen.
»Du denkst, es sei deine Schuld, nicht wahr?«
Soja schaute mich über die Schulter an, ihr Gesichtausdruck eine Mischung aus Unglaube und Feindseligkeit. »Wie soll ich das verstehen?«, fragte sie. » Was , denke ich, ist meine Schuld?«
»Vergiss nicht«, sagte ich, »ich kenne dich besser als jeder andere. Ich kann deine Gedanken lesen.«
Seit Arinas Tod waren über sechs Monate verstrichen, und der Alltagstrott hatte uns wieder, so als wäre nie etwas Schlimmes geschehen. Unser Schwiegersohn Ralph hatte seine Arbeit wieder aufgenommen und tat alles in seiner Macht stehende, um Michaels Kummer zu lindern. Der Junge weinte noch immer jeden Tag und sprach
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