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Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose

Titel: Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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von seiner Mutter, so als glaubte er, dass wir sie irgendwie von ihm fernhielten – ihr Verlust, die Unfassbarkeit ihres Todes, war etwas, das er noch immer nicht bewältigt hatte. Zwischen Michael und mir mochten einundsechzig Jahre liegen, doch was die Ähnlichkeit unserer Gefühle betraf, hätten wir durchaus Zwillinge sein können.
    Wir waren gerade vom Haus unseres Schwiegersohns zurückgekehrt, wo Soja und Ralph sich wegen des Jungen gestritten hatten. Sie wollte, dass er wieder öfter bei uns übernachtete, doch Ralph fand, es sei noch zu früh, um ihn außerhalb seiner gewohnten Umgebung schlafen zu lassen. In der Vergangenheit hatte Michael regelmäßig bei uns übernachten dürfen und dann im ehemaligen Zimmer seiner Mutter geschlafen, doch dieses Arrangement hatte sofort nach ihrem Tod ein Ende gefunden. Es verhielt sich nicht so, dass Ralph den Jungen von uns fernhalten wollte, sondern vielmehr so, dass er nicht ohne ihn sein wollte. Ich verstand das. Ich fand das völlig in Ordnung. Denn ich wusste, wie es war, wenn man sein Kind bei sich haben wollte.
    »Natürlich ist es meine Schuld«, sagte Soja. »Und du wirfst mir das auch vor. Ich weiß, dass du das tust. Du wärst ein Dummkopf, tätest du es nicht.«
    »Ich werfe dir überhaupt nichts vor«, schrie ich, wobei ich nun von hinten an sie herantrat und sie zu mir herumriss, damit sie mir in die Augen schaute. In ihrem Gesichtsausdruck lag eine Härte, ein ganz bestimmter Blick, der sich viele Jahre lang verborgen gehalten hatte, aber nun, seit Arinas Tod, wieder zurückgekehrt war und mir genau verriet, was in ihrem Kopf vorging. »Du glaubst, ich mache dich für den Tod unserer Tochter verantwortlich? Das ist doch völliger Irrsinn. Wenn ich dich für etwas verantwortlich mache, dann für ihr Leben!«
    »Wieso sagst du mir das?«, fragte sie, und ihre Stimme verriet mir, wie nahe sie den Tränen war.
    »Weil du es immer so empfunden hast und weil es unser beider Leben überschattet hat. Doch da irrst du dich, Soja, siehst du das nicht? Du irrst dich gewaltig, wenn du das so empfindest. Denk daran, ich habe mitbekommen, wie du jedes Mal reagiert hast. Als Leo starb …«
    »Das ist schon eine Ewigkeit her, Georgi!«
    »Als unsere Freunde bei den deutschen Luftangriffen auf London ums Leben kamen.«
    »Jeder hat damals Freunde verloren, oder?«, schrie sie. »Du denkst, ich habe mir die Schuld daran gegeben?«
    »Und jedes Mal, wenn du eine Fehlgeburt gehabt hast. Da habe ich es auch gesehen.«
    »Georgi … bitte«, sagte sie mit angespannter Stimme.
    »Und nun Arina«, fuhr ich fort. »Nun denkst du, ihr Tod sei wegen …«
    »Hör auf!«, schrie sie und stürmte auf mich los, die Hände zu Fäusten geballt, mit denen sie mir gegen die Brust trommelte. »Kannst du nicht wenigstens für einen Moment damit aufhören? Warum glaubst du, ich müsste an all diese Dinge erinnert werden? An Leo, die Babys, unsere Freunde, unsere Tochter … ja, sie sind alle von uns gegangen, jeder Einzelne von ihnen. Aber warum sollen wir über sie reden? Wozu soll das gut sein?«
    Ich setzte mich hin und fuhr mir vor Verzweiflung mit der Hand übers Gesicht. Ich liebte meine Frau über alles, doch da war immer ein unsichtbarer Faden seelischen Kummers durch unser Leben gelaufen. Ihr Schmerz, ihre Erinnerungen nahmen sie dermaßen stark in Anspruch, dass es in ihr kaum Raum für den Schmerz anderer gab, auch nicht für meinen.
    »Es gibt Dinge im Leben, die kann man unmöglich ignorieren«, sagte sie nach ein paar Minuten der Stille, neben mir in einen Sessel gekauert, die Arme schützend um ihren Körper geschlungen, ihr Gesicht so weiß wie der Schnee in Livadia. »In meinem Leben hat es zu viele tragische Fügungen gegeben, um sie noch als Zufälle bezeichnen zu können. Ich bin ein Unglücksbringer, Georgi. Ja, genau das bin ich. Während meines gesamten Lebens habe ich den Menschen, die mich geliebt haben, immer nur Kummer und Elend gebracht. Nichts als Schmerz. Es ist meine Schuld, dass so viele von ihnen tot sind. Ich weiß, dass es so ist. Vielleicht hätte ich auch sterben sollen, als ich ein Kind war. Vielleicht ?«, fügte sie hinzu, wobei sie verbittert auflachte und den Kopf schüttelte. »Was sage ich denn da? Selbstverständlich hätte ich damals sterben sollen. Das war mein Schicksal.«
    »Aber das ist doch Irrsinn«, sagte ich, wobei ich mich aufrichtete und versuchte, ihre Hand zu ergreifen, doch sie rückte von mir weg, so als würde sie meine bloße

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