Das Haus zur besonderen Verwendung - Boyne, J: Haus zur besonderen Verwendung - The House of Special Purpose
Reihe von Kraftausdrücken an den Kopf warf, einer vulgärer als der andere. Falls sie dachte, sie könnte ihn damit zur Einsicht bringen, dann hatte sie sich getäuscht, denn er lachte in gespieltem Entsetzen laut auf, eine Reaktion, die sie noch mehr in Rage versetzte. Ich fragte mich, warum es den beiden nichts auszumachen schien, dass alle Welt ihren Streit mitbekam. Oder war ihre Leidenschaft, so wie bei Filmstars, vielleicht nur dann real, wenn sie Zeugen hatten?
»Ich bin auch Mutter, Mr Jatschmenew«, sagte Mrs Elliott nach einer Weile. »Ich denke, es ist nur natürlich, dass ich mich unter diesen Umständen eher in die Gefühlslage einer anderen Mutter versetze. Aber ich wollte Ihr Leid keineswegs herunterspielen.«
»Sie sind ein Elternteil«, sagte ich, um ihr zu widersprechen, war aber nun etwas versöhnlicher gestimmt. Es war nicht zu übersehen, wie sehr sie unter Arinas Tod litt. Ich litt ebenfalls entsetzlich darunter, doch mein Schmerz konnte niemals gelindert werden. Es wäre für mich so einfach gewesen, ihre Qualen zu mildern, ihr Gewissen wenigstens ein bisschen zu erleichtern. Es wäre eine Geste von unendlicher Güte gewesen, und ich fragte mich, ob ich dazu fähig war. »Wie viele Kinder haben sie denn?«, fragte ich, nachdem ein Moment verstrichen war.
»Drei«, erwiderte sie, und man konnte hören, wie sehr es sie freute, danach gefragt zu werden. Natürlich freute sie es. Alle wollen sie nach ihren Kindern gefragt werden – sie hieß es nun, nicht mehr wir . »Zwei Jungen, die bereits auf die Universität gehen, und ein Mädchen, das noch die Schule besucht.«
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie nach ihren Namen frage?«
»Nein, überhaupt nicht«, sagte sie, möglicherweise überrascht von der Freundlichkeit der Frage. »Mein Ältester heißt John, das war der Name meines Mannes. Dann Daniel, und das Mädchen heißt Beth.«
»Das war der Name Ihres Mannes?«, fragte ich sie, da mir die Vergangenheitsform sofort aufgefallen war, und wandte ihr nun mein Gesicht zu.
»Ja, ich bin seit vier Jahren verwitwet.«
»Ihr Mann muss noch relativ jung gewesen sein«, sagte ich, denn sie selber war erst in den Mittvierzigern.
»Ja, das stimmt. Er starb eine Woche vor seinem neunundvierzigsten Geburtstag. Ein Herzinfarkt. Es kam völlig unerwartet.« Sie zuckte die Achseln und blickte in die Ferne, nun für einen Moment in ihre Erinnerungen, in ihren eigenen Kummer versunken. Ich ließ meinen Blick über die Parkanlage schweifen. Wie viele der dort versammelten Menschen mochten wohl unter einem ähnlichen Schmerz leiden? Das Mädchen zu meiner Linken schlug seinem Freund gerade eine Reihe von Dingen vor, die er mit sich machen könne und die allesamt nicht besonders angenehm klangen, während er alle Register zog, um zu verhindern, dass sie aufstand und fortging. Ich wünschte mir, die beiden würden ihr belangloses Geschwätz weniger lautstark fortführen, denn sie ödeten mich maßlos an.
»Darf ich Sie nach Ihrer Tochter fragen?«, sagte sie dann, und ich spürte, wie sich mein Körper angesichts der Unverfrorenheit ihrer Frage ein wenig verkrampfte. »Wenn Sie das nicht möchten, nehme ich Ihnen das natürlich nicht …«
»Nein«, sagte ich schnell. »Kein Problem, fragen Sie ruhig. Was möchten Sie wissen?«
»Sie war Lehrerin, nicht wahr?«
»Ja«, sagte ich.
»Und was hat sie unterrichtet?«
»Englisch und Geschichte«, antwortete ich, wobei ich ein wenig darüber lächeln musste, wie stolz ich seinerzeit gewesen war, dass sie sich für zwei so unpraktische Fächer entschieden hatte. »Aber eigentlich hatte sie andere Pläne. Sie wollte Schriftstellerin werden.«
»Ach, wirklich?«, sagte Mrs Elliott. »Was hat sie denn geschrieben?«
»Gedichte, als sie noch jünger war«, sagte ich. »Aber die waren nicht so besonders, wenn ich ehrlich bin. Dann Kurzgeschichten, als sie älter war, und die lasen sich schon wesentlich besser. Zwei davon wurden sogar veröffentlicht. Eine in einer kleinen Anthologie, die andere im Express .«
»Das habe ich nicht gewusst«, erwiderte sie und schüttelte den Kopf.
»Woher hätten Sie das auch wissen sollen. Das dürfte kaum zu den Dingen gehören, die einem die Polizei erzählt.«
»Nein«, sagte sie, wobei sie die Zähne zusammenbiss.
»Und sie saß an einem Roman, als der Unfall passierte«, fuhr ich fort. »Sie hatte ihn fast fertiggestellt.«
Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich diese Frau unverfroren anlog, denn nichts
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