Das Hausbuch der Legenden
denn er fürchtete sich sehr. Er wagte auch nicht, sich einfach von seinem Reisegenossen zu trennen.
Sie brachen wieder in aller Frühe auf und kamen bald an einen breiten Fluß, über den eine hohe Brücke führte. Auf dieser Brücke begegnete ihnen ein armer Mann, den der Engel nach dem besten Weg in die nächste Stadt fragte. Als der Arme sich umdrehte, um ihnen die Richtung zu zeigen, packte der Engel ihn an der Schulter und warf ihn über das
Brückengeländer in den reißenden Strom, aus dem der Mann sich nicht mehr retten konnte. Nun war der Einsiedler überzeugt, daß er es mit dem Teufel zu tun hatte und nicht mit einem Engel Gottes. Wieder war ein Unschuldiger durch eine Untat seines Begleiters ums Leben gekommen. Er beschloß nun endgültig, sich bei der nächsten Gelegenheit von ihm zu trennen. Seine Angst wuchs mit jedem Schritt. Darum wagte er wieder nicht, den Mund aufzutun.
Sie kamen erst spät in die nächste Stadt und baten einen reichen Mann um ein Nachtlager. Der aber schlug es ihnen rundweg ab. Da bat ihn der Engel: »So lasse uns nur um Gottes willen auf das Dach deines Hauses steigen, damit uns die Wölfe und andere wilde Tiere nicht anfallen können.« Der Reiche aber antwortete: »Das kann ich euch nicht erlauben.
Aber ihr könnt euch zu meinen Schweinen in den warmen Stall legen. Wenn euch das gefällt, dann könnt ihr bleiben. Sonst verlaßt sofort mein Haus. Ich werde euch keinen anderen Platz anweisen.« Da blieben sie die Nacht im Schweinestall. Früh am nächsten Morgen aber rief der Engel den Wirt und schenkte ihm zum Dank für das Nachtlager den gestohlenen Becher. Da fand der Einsiedler endlich den Mut, sich von dem Engel zu trennen. Er sagte zu ihm: »Ich will nun nicht länger auf Euch warten und befehle Euch Gott!« Da erwiderte der Engel:
»Höre mich erst einmal an, ehe du allein weitergehst! Von deiner Einsiedelei aus hast du gesehen, wie der Besitzer der Schafe seinen Hirten erschlug. Der Hirt hat damals den Tod nicht verdient; denn die Schafe hat ein anderer gestohlen. Gott hat trotzdem zugelassen, daß er getötet wurde, um ihn auf diese Weise vor dem ewigen Tod zu retten. Der Räuber aber, der mit den Schafen entwischt ist, wird ewige Pein leiden, und der Besitzer der Schafe wird durch reiche Almosen und andere Werke der Barmherzigkeit sein Leben lang diese Untat sühnen, die er unwissentlich begangen hat. Dann habe ich den Sohn des Soldaten erwürgt, der uns gastlich aufgenommen hat. Höre nun, daß dieser Krieger vor der Geburt des Knaben einer der freigebigsten Almosenspender war und viele Werke der Barmherzigkeit getan hat. Sobald der Knabe auf die Welt kam, ist er aber sparsam, ja habsüchtig und geizig geworden. Er sammelte alles, um den Knaben reich zu machen. Das Kind war also die Ursache für sein Verderben. Darum habe ich es umgebracht. Und nun ist der Vater wieder, was er früher war, ein guter Christ. Dann habe ich den goldenen Becher des Bürgers gestohlen, der uns so liebenswürdig aufgenommen hat. Wisse, daß dieser Mann der nüchternste Mensch war, der auf dieser Erde lebte. Die Freude an dem Becher hat ihn aber dazu verführt, den ganzen Tag zu trinken. Oft und oft war er tagelang betrunken. Darum habe ich ihm den Becher
genommen, und nun ist er wieder nüchtern wie in früheren Zeiten. Dann habe ich den Armen ins Wasser gestürzt und ihn im Strom umkommen lassen. Wisse, daß jener Arme ein guter Christ war. Wäre er aber nur den halben Weg weitergegangen, den er vor sich hatte, dann hätte er einen anderen erschlagen.
So hat er für die ewige Verdammnis den Himmel gewonnen.
Schließlich habe ich dem reichen Mann, der uns die Aufnahme verweigerte, den goldenen Becher geschenkt. Bedenke, daß auf dieser Erde nichts ohne Grund geschieht. Er hat uns nur ein Lager im Schweinestall zugestanden, und ich habe ihm trotzdem mit dem Becher eine Freude gemacht. Sobald sein Leben zu Ende ist, wird er ewig in der Hölle sein. Darum bändige in Zukunft deine Gedanken und lege deinem Mund Zügel an, ehe du es wagst, Gott zu tadeln. Er weiß alles.« Nach diesen Worten fiel der Einsiedler vor dem Engel auf die Knie und bat ihn um Verzeihung. Er kehrte wieder in seine Einsiedelei zurück und wurde ein guter Christ.
Die himmlische Hochzeit
ES HÖRTE einmal ein armer Bauernjunge in der Kirche wie der Pfarrer sprach: »Wer da will ins Himmelreich kommen, muß immer geradeaus gehen.« Da machte er sich auf und ging immerzu, immer gerade, ohne abzuweichen, über
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