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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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Sessel durch die Lüfte zu den göttlichen Wohnsitzen.

    Das Gesicht

    EINMAL BEGAB es sich – es war an dem vierten Tag der Woche und jene erste Stunde des Abends, da die Sonne uns eben entschwunden ist – , daß der Baalschem sein Haus verließ, eine Reise zu tun. Keiner Seele, nicht Schüler und nicht Freund, hatte er von seiner Absicht gesprochen, so daß Ziel und Sinn der Fahrt für alle die Seinen im Dunkel lagen, selbst für jene, die ihn begleiteten. Auch diesmal fuhr er in einer knappen Stundenzahl eine große Strecke des Wegs, wie es ja allen bekannt ist, daß dem Willen des Meisters Ort und Zeit nicht Fessel bedeuteten wie einem unter uns. Um Mitternacht hielt der Baalschem in einem fremden Dorf vor dem Haus eines Zollpächters und Herbergvaters an, die Stunden der Nacht, die ihm verblieben waren, dort zu ruhen. Es wies sich, daß der Wirt weder den Baalschem noch einen unter den Seinen kannte, wohl aber begierig war, wie es unter Leuten dieses Gewerbes kein Seltenes ist, zu wissen, wes Standes sein Gast sei, und zu welchem Ende er diese Reise unternehme. Indem er dem Meister und den andern einen späten Imbiß bot und ihnen zum Lager aufbereitete, gab sich Rede und Antwort. Der Baalschem tat dem Wirt auf dessen Anfrage zu wissen, er sei ein Prediger und habe vernommen, daß am Vortag des
    kommenden Sabbats ein reicher und angesehener Mann in Berlin Hochzeit halte, und zu der Zeit wolle er dort sein, um bei dem Fest seines Amtes zu walten. Als der Gastgeber das gehört hatte, hielt er ein Weilchen still und betreten an sich, ehe er sagte: »Herr, Ihr verhöhnt wohl meine Wißbegier! Wie wollt Ihr die Strecke in der Frist abtun, die Euch bleibt! Ja, wenn Ihr Pferd und Mann nicht schonet, Ihr würdet etwa vermögen, zum andern Sabbat dort zu sein, nimmermehr aber zu diesem.« Der Baalschem lächelte ein kleines und gab ihm Antwort: »Um deswillen sei unbekümmert, Freund, meiner Pferde bin ich sicher. Sie haben schon manch gutes Stücklein für mich getan.«
    Bald danach legte er sich mit den Seinen zur Ruhe nieder, der Wirt aber blieb die ganze Nacht auf seinem Bette wach, denn der fremde Mann und seine Sachen dünkten ihn allzu
    verwunderlich. Doch war auch für seinen Blick etwas an dem Mann, was ihn nicht glauben lassen mochte, er sei ein Spaßvogel oder gar ein Narr. Das Verlangen kam über ihn, das Ende dieses Dings zu sehen. Als er so um einen schicklichen Vorwand sann, dem fremden Prediger sein Geleit anzubieten, fiel ihm manches Geschäft ein, das er in Berlin mit einigem Vorteil abtun könnte. Er beschloß, des Morgens mit dem Gast darüber zu reden. Als der Meister mit seinen Leuten sich vom Lager erhoben hatte, trat der Wirt zu ihm und trug ihm seinen Wunsch vor, und der Baalschem war es zufrieden. Hingegen zeigte er nicht sonderliche Eile, wegzukommen, sah sich ruhig im Hause um, sprach mit den Seinen ein Gebet und hieß endlich den Wirt noch eine kräftige Mahlzeit bereiten. Die nahmen sie zu sich und verblieben dann noch im Gespräch, während der Wirt von Unrast und Neugier getrieben ab und zu lief. Als der Tag schon niederging, befahl der Meister, den Wagen zu bereiten und die Pferde anzuspannen. Sie zogen von hinnen, und bald kam die Nacht über sie. Der Baalschem mit den Seinen saß schweigend. Dem Wirt war es seltsam und fremd in seinem Sinn, und es dünkte ihn, dieses sei eine Fahrt, derengleichen er niemals noch eine getan. Nichts als das Dunkel war da. Zuweilen war es ihm, als rollten sie tief unter den Straßen der Menschen durch geheimnisreiche Gänge der Erde, und dann wieder schien ihm der Weg, den sie nahmen, so leicht und durchsichtig, als schwebten sie in den Lüften. Sie begegneten keinem Laut, keinem Menschen, keinem Tier, keinem Ort. Der Wirt vermochte seinen Gedanken nicht Halt zu gebieten, alles in ihm und um ihn schien sich in Flüchtigkeit aufgelöst zu haben.
    Plötzlich war es ihm, als würde die Luft um ihn dichter, die erste Helle brach an, er fühlte die Erschütterungen des Wagens auf dem Erdboden wieder unter sich, fernhin bellte ein Hund, ein Hahn krähte, eine Hütte lag seitab im Dämmer. Eine Weile fuhren sie so, der Morgen war klar, und als die letzten Dünste in der Sonne aufgingen, sah der Wirt vor sich eine große Stadt.
    Nicht der vierte Teil einer Stunde ging um, da langten sie in Berlin an.
    Der Meister wählte eine bescheidene Herberge, die am Ende der Stadt stand, in jener Gegend, wo noch niedere Häuser fast ländlich in ihren Gärtchen lagen. Da

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