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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Adolf Narciss
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Berg und Tal. Endlich führte ihn sein Weg in eine große Stadt, und mitten in die Kirche, wo eben Gottesdienst gehalten wurde.
    Wie er nun all die Herrlichkeit sah, meinte er, nun wäre er im Himmel angelangt, setzte sich hin und war von Herzen froh.
    Als der Gottesdienst vorbei war und der Küster ihn
    hinausgehen hieß, antwortete er: »Nein, ich gehe nicht wieder hinaus, ich bin froh, daß ich endlich im Himmel bin.« Da ging der Küster zum Pfarrer und sagte ihm, es sei ein Kind in der Kirche, das wolle nicht wieder hinaus, weil es glaube, es sei im Himmelreich. Der Pfarrer sprach: »Wenn es das glaubt, dann wollen wir es darin lassen.« Darauf ging er hin und fragte den Knaben, ob er auch Lust habe zu arbeiten. »Ja«, antwortete der Kleine, ans Arbeiten sei er gewöhnt, aber aus dem Himmel gehe er nicht wieder hinaus. Nun blieb er in der Kirche, und als er sah, wie die Leute zu dem hölzernen Muttergottesbild mit dem Jesuskind kamen, knieten und beteten, dachte er: Das ist der liebe Gott, und sprach: »Hör einmal, lieber Gott, was bist Du mager! Gewiß lassen Dich die Leute hungern: Ich will Dir aber jeden Tag mein halbes Essen bringen.« Von nun an brachte er dem Bilde jeden Tag die Hälfte von seinem Essen, und das Bild fing auch an, die Speise zu genießen. Wie ein paar Wochen herum waren, merkten die Leute, daß das Bild zunahm, dick und stark ward, und wunderten sich sehr. Der Pfarrer konnte es auch nicht begreifen, blieb in der Kirche und ging dem Kleinen nach. Da sah er, wie der Kleine sein Brot mit der Mutter Gottes teilte und diese es auch annahm.
    Nach einiger Zeit wurde der Knabe krank und kam acht Tage lang nicht aus dem Bett; wie er aber wieder aufstehen konnte, war sein erstes, daß er seine Speise der Mutter Gottes brachte.
    Der Pfarrer ging ihm nach und hörte, wie er sagte: »Lieber Gott, nimm’s nicht übel, daß ich Dir so lange nichts gebracht habe, ich war aber krank und konnte nicht aufstehen.« Da antwortete ihm das Bild und sprach: »Ich habe deinen guten Willen gesehen, das ist mir genug; nächsten Sonntag sollst du mit mir auf die Hochzeit kommen.« Der Knabe freute sich darüber und sagte es dem Pfarrer, der bat ihn, hinzugehen und das Bild zu fragen, ob er auch mitkommen dürfe. »Nein«, antwortete das Bild, »du allein.« Nun wollte der Pfarrer ihn vorbereiten und ihm das Abendmahl geben. Des war der Knabe zufrieden. Und nächsten Sonntag, wie das Abendmahl an ihn kam, fiel er um und war tot und war zur ewigen Hochzeit.

    Die Lebenszeit

    ALS GOTT die Welt erschaffen hatte und allen Kreaturen die Lebenszeit bestimmen wollte, kam der Esel und fragte: »Herr, wie lange soll ich leben?«
    »Dreißig Jahre«, antwortete Gott, »ist dir das recht?«
    »Ach Herr«, erwiderte der Esel, »das ist eine lange Zeit.
    Bedenke mein mühseliges Dasein: vom Morgen bis in die Nacht schwere Lasten zu tragen, Kornsäcke in die Mühle zu schleppen, damit andere das Brot essen, mit nichts als mit Schlägen und Fußtritten ermuntert und aufgefrischt zu werden!
    Erlaß mir einen Teil der langen Zeit!« Da erbarmte sich Gott und schenkte ihm achtzehn Jahre.
    Der Esel ging getröstet weg, und der Hund erschien. »Wie lange willst du leben?« fragte Gott, »dem Esel sind dreißig Jahre zuviel, du aber wirst damit zufrieden sein.«
    »Herr«, antwortete der Hund, »ist das dein Wille? Bedenke was ich laufen muß, das halten meine Füße nicht so lange aus!
    Und habe ich erst die Stimme zum Bellen verloren und die Zähne zum Beißen, was bleibt mir übrig als aus einer Ecke in die andere zu laufen und zu knurren?« Gott sah, daß der Hund recht hatte, und erließ ihm zwölf Jahre.
    Darauf kam der Affe. »Du willst wohl gerne dreißig Jahre leben?« fragte der Herr, »du brauchst nicht zu arbeiten wie der Esel und der Hund und bist immer guter Dinge.«
    »Ach Herr«, antwortete der Affe, »das sieht so aus, ist aber anders. Wenn’s Hirsebrei regnet, habe ich keinen Löffel. Ich soll immer lustige Streiche machen, Gesichter schneiden, damit die Leute lachen, und wenn sie mir einen Apfel reichen und ich beiße hinein, dann ist er sauer. Wie oft steckt die Traurigkeit hinter dem Spaß! Dreißig Jahre halte ich das nicht aus!« Gott war gnädig und schenkte ihm zehn Jahre. Endlich erschien der Mensch, freudig, gesund und frisch und bat Gott, ihm seine Zeit zu bestimmen. »Dreißig Jahre sollst du leben«, sprach der Herr, »ist dir das genug?«
    »Welch eine kurze Zeit!« rief der Mensch. »Wenn ich mein Haus

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