Das Heerlager der Heiligen
drangen in die Familien ein, in die Häuser, in die Städte. Auf tausenderlei Arten bahnten sie sich einen Weg. Sie riefen über die Briefkästen um Hilfe. Jeden Morgen sprangen ihre schrecklichen Fotos ins Gesicht und forderten im Namen aller. Zeitungen, Rundfunk, Kirchen und politische Parteien standen in ihrem Dienst. Man sah nur noch sie. Ihre Völker brauchten auch keine Wäsche mehr, sondern nur noch Postscheckkonten. In herzzerreißenden, fast drohenden Aufrufen wurde zur Zahlung gemahnt. Es gab noch Schlimmeres. Im Fernsehen, in welchem sie sich zu regen begannen, sah man sie zu Tausenden sterben. Das anonyme Blutbad wurde ein dauerndes Schauspiel, vorgeführt von Berufsdichtern und Drahtziehern. Die Erde war mit Armen geradezu überflutet. Und überall regten sich Gewissensbisse. Glück wurde als Makel empfunden, von der Freude ganz zu schweigen. Kurz, es war keine Wohltat mehr, wenn man etwas schenkte, sondern eine Verhöhnung.
Der Professor hatte vor einiger Zeit seine Schränke und Truhen sowie Keller und Speiseschrank abgeschlossen. Er erinnerte sich noch sehr gut daran, da am gleichen Tag der Papst den Vatikan geleert hatte. Tresore, Bibliothek, Bilder, Fresken, Tiara, Möbel und Statuen hatte er unter dem Beifall der Christen verkauft, von denen diejenigen, die vor Rührung am meisten ergriffen und wie von einer Epidemie befallen waren, sich fragten, ob sie ihn nicht nachahmen und arm werden sollten. Mit einer geradezu lächerlichen Geste angesichts der Ewigkeit hatte der Papst alles in ein Faß ohne Boden geworfen. Mit dem Ergebnis hatte man noch nicht einmal den Landwirtschaftsetat eines Jahres von Pakistan ausgleichen können. Moralisch gesehen hatte er nur seinen Reichtum enthüllt. Die Dritte Welt machte ihm daher auch schnell Vorwürfe, und er verlor jede Glaubwürdigkeit.
Seitdem war Seine Heiligkeit infolge selbst gewählter Mittellosigkeit in ihrem öden, schäbigen Palast umhergeirrt und schließlich in einer leeren Wohnung auf einem eisernen Bettgestell zwischen einem Küchentisch und drei Strohstühlen wie ein armer Landpfarrer gestorben. Man hatte den neuen Papst ungefähr zur gleichen Zeit gewählt, als Herr Calguès in den Ruhestand getreten war. Der eine hatte traurig den Platz auf einem Strohthron eingenommen, während der andere in sein idyllisches Dorf zog und entschlossen war, es nicht mehr zu verlassen und nunmehr alles in dem seiner würdigen Rahmen zu genießen … Gott sei gedankt für den weichen Schinken, das duftende Brot und den frischen Wein! Ein Prosit auf die alte Welt und auf alle, die sich darin wohl fühlen!
Während der alte Herr bedächtig aß und trank und jeden Bissen und jeden Schluck genießerisch verzehrte, ließ er die Blicke in seinem großen Zimmer umherschweifen. Dazu brauchte er viel Zeit, denn er verweilte bei jedem Gegenstand, und jede Betrachtung war für ihn ein Liebesakt. Manchmal kamen ihm die Tränen, Tränen der Freude. In diesem Haus erzählte alles vom Ansehen derer, die es bewohnt hatten, von ihrem Milieu, ihrem Wissen, ihrer Bescheidenheit und ihrem Geschmack für Tradition, wohl wissend, daß die Menschen sich weiter entfalten können, wenn sie sich gegenseitig achten. Gegenstände formen den Menschen besser als das Spiel der Ideen. Ihrethalben ist es soweit gekommen, daß der weiße Mann sich aufgab. Bei der Massenflucht nach Norden schien ihm jedoch irgendwie bewußt geworden zu sein, daß er schon verloren war und daß sich bei dem Dreck, den sie ausschied, eine Verteidigung kaum noch lohnte. Vielleicht war dies auch eine Erklärung?
Um 11 Uhr abends verlas ein Sprecher des französischen Rundfunks ein weiteres Kommuniqué:
»Die Regierung hat mit Befremden von der allgemeinen Flucht der Bevölkerung des Südens Kenntnis genommen. Trotz Bedauerns fühlt sie sich bei dieser neuen Lage nicht ermächtigt, davon abzuraten. Gendarmerie und Armee haben genaue Anweisungen erhalten, damit die Abwanderung ordnungsgemäß verläuft und die vom Norden her in Anmarsch befindlichen militärischen Kolonnen nicht gestört werden. In den vier Küstendepartements ist der Notstand ausgerufen worden. Herr Jean Perret, Staatssekretär und persönlicher Beauftragter des Präsidenten der Republik, hat die Verantwortung übernommen. Die Armee wird im Rahmen des Möglichen und in den Grenzen, die durch andere Aufgaben gezogen sind, für den Schutz des hinterlassenen Besitzes sorgen. Die Regierung bestätigt, daß der Präsident der Republik heute um
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