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Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Raspail
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Steinterrinen, entkorkte Flaschen überall verteilt, auf einem Anrichtetisch Gläser, Zigaretten, Zigarren, Streichhölzer und in einer Ecke ein alter Cognac.
    »Sind Sie wirklich allein?« stotterte der Oberst, der als erster wieder das Wort ergriff.
    »Ich habe immer gern Büffets hergerichtet. Ich finde den Anblick so schön. Um sechs Uhr fünf habe ich Sie unten abfahren gesehen. Ich habe mich dann sofort an die Arbeit gemacht. Sie werden entschuldigen, daß noch zwei oder drei Sachen fehlen. Ich wollte noch Schlagsahne machen aber Sie sind früher gekommen, als ich dachte. Jetzt kommen Sie um die Süßspeise. «
    »Verdammt noch mal!« sagte plötzlich der Oberst. »Was ist denn das da?«
    Er zeigte auf einen jungen Mann, der mit gespreizten Beinen und herunterhängendem Kopf zusammengesackt in einer Ecke lag. Die bis zum Boden gehende Tischdecke hatte ihn zunächst ihrem Blick entzogen. Er hatte schmutzige Haare, trug ein geblümtes Hemd, ein Hinduhalsband und eine afghanische Weste. Ein roter Fleck auf seiner Brust um ein kleines Loch herum ließ an seinem Zustand keinen Zweifel aufkommen.
    »Waren Sie das?« fragte der Oberst nur.
    »Ja«, antwortete der Greis und senkte den Kopf. »Ich konnte sein Gerede nicht mehr ertragen. Auch in einem verlorenen Krieg braucht man ein paar Tote, sonst ist das nicht anständig. Ich habe gehandelt wie Sie unten. Das war mein eigener kleiner Krieg. Ohne Illusionen, nur zum Vergnügen. Das ist doch drollig«, sagte er und betrachtete die Leiche. »Ich habe ihn völlig vergessen.«
    »Ist es schon lange her?«
    »Gestern abend.«
    »Man muß ihn wegschaffen, bevor er stinkt«, sagte kurz der Oberst. »Wir werden Sie davon befreien.«
    Das war die ganze Grabrede für den jungen Mann.
    »Und jetzt zu Tisch!« rief der Minister aus. »Herr Calguès, ich trinke auf die Gesundheit des Dorfes.« Und er fügte in halbernstem Ton hinzu: »Herr Kultusminister! Würde Ihnen das gefallen?«
    »Vergessen wir unsere strategische Basis‹ nicht«, warf der Oberst ein. Er wandte sich an einen Mann des Marinekommandos. »Sie! Wenn Sie schon Ihr Horn gerettet haben, dann blasen Sie zum Essen. Das wird für die andern schon mal eine Vorspeise sein.«
    Wenn man den Text zu diesem Hornsignal kennt, das jetzt zum Himmel ertönte, so kann man auf den Gedanken kommen, daß es wie eine Art Prophezeiung war.

46.
     

    Frankreich hat nachgegeben. Was nicht wieder gut gemacht werden kann, ist eingetreten. Von nun an ist keine Rückkehr zur Vergangenheit mehr möglich, unbeschadet einiger weniger örtlicher Besonderheiten da, wo eben das Verhältnis der moralischen Kräfte dafür geeignet war. Ehrlich gesagt möchte ich ein vollständiges Panoramabild unseres an diesem Ostermontag in Wallung befindlichen Planeten zeichnen. Unsere Zeitgeschichte müßte darüber Bände füllen. Aber wozu eigentlich? Mein Herz ist im Dorf geblieben. Und wenn ich die Kraft finde, noch ein paar Seiten diesem Roman hinzuzufügen, der mich viel Tränen gekostet hat, trotz einer gewissen Komik, die immer wieder das Traurige der Tatsachen überdeckte – denn alles war komisch, nicht wahr? –, dann widme ich sie nur dem Dorf. Ich könnte höchstens zum besseren Verständnis dieses Romans noch in groben Zügen die Schlußfolgerung aus einigen wesentlichen Szenen ziehen. – Mein Gott! Habe ich mich gut verständlich gemacht? Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt, wie es der unerbittliche Prozeß des Verfalls verlangt? Und habe ich den Leser von einem Kapitel zum andern in Spannung gehalten, etwa wie Bomben mit Zeitzündern?
    Diese Bomben sind überall gleichzeitig explodiert. An den Ufern des Limpopo, in Paris, London, New York … In Frankreich, wo die Lichter freiwillig ausgegangen sind, wird von nun an keine Regierung es mehr wagen, im Alleingang unter ein Verbrechen des Völkermords den Namen zu setzen. Im Zentralpark stieg die schwarze Flut: vierundzwanzig Stockwerke in einer Stunde. »Black is beautiful, und alle Weißen sind Maden.« Der Poet aus Harlem singt dazu: »Man hört nur das Geräusch der Speere, wie sie ins Mark der Unterdrücker gestoßen werden.«
    Im fünfundzwanzigsten Stockwerk sinnt Doktor Norman Haller über den Wandel der Zeit nach. Nur zwei Stockwerke trennen die Vergangenheit von der Zukunft. Die Stimme des Bürgermeisters von New York am Telefon kommt ihm beinahe beruhigt vor.
    »Ich habe Glück, Norman. Es sind drei Familien aus Harlem. Großartige Kinder. Sie haben nicht einmal darauf

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