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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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über meine Gesäßbacken zu fahren, was mich zwang, den Schweif so fest wie möglich zwischen ihnen einzuklemmen. Unter anderen Umständen hätte ich ihm einen blauen Fleck zum Andenken gekniffen, das wäre das Mindeste gewesen. Jetzt aber, da ich nicht wusste, wohin das alles führte, zog ich es vor, ihm nur einen Klaps auf die Hand zu geben. Darauf drohte er mir mit dem Finger und ließ die Geste fließend in eine andere übergehen: Daumen und Zeigefinger fanden zusammen und rieben sich.
    Ich verstand. Für gewöhnlich haben Mädchen wie ich ihre hundert Dollar unten am Ausgang abzulassen, hier aber wurde mir durch höhere – beziehungsweise niedere – Gewalt nahe gelegt, die Rechnung vor Ort zu begleichen. Ich zog einen Benjamin aus der Handtasche, den der Wächter mit denselben zwei Fingern an sich zupfte, die er eben noch gegeneinander gerieben hatte. Der Geste in ihrer Bündigkeit wohnte eine eigentümliche Schönheit inne: Drohen, Mahnen, Abkassieren in einem Zug. Keine Muskelanspannung zu viel. Den Meister erkennt man an der Positur, wie der japanische Schwertkünstler Minamoto Musashi zu sagen pflegte.
    Ich lief die liliengeschmückte Treppe hinab und gelangte ohne weitere Abenteuer auf die Straße. Rechts vom Eingang hatte sich schon eine Menschenmenge gebildet, darunter mehrere Polizisten – dort lag vermutlich der arme Sikh. Ich ging in die Gegenrichtung und bog nach wenigen Schritten um eine Ecke. Nun musste ich mir nur noch ein Taxi winken. Es hielt beinahe sogleich.
    »Bitza-Park«, sagte ich. »Pferdesportzentrum.«
    »Dreihundertfünfzig Rubel«, gab der Fahrer zur Antwort.
    Für ihn war es heute ein glücklicher Tag. Ich ließ mich in den Rücksitz fallen, schlug die Tür zu, und das Taxi entführte mich der Katastrophe, die noch vor fünf Minuten unausweichlich erschienen war.
    Ich hatte mir nichts vorzuwerfen, doch die Laune war dahin. Nicht bloß, dass ein unschuldiger Mensch ums Leben gekommen war. Ich hatte meinen Arbeitsplatz im National verloren.
    In absehbarer Zeit durfte ich mich dort nicht mehr blicken lassen. Das hieß, ich musste nach anderen Einkommensquellen Ausschau halten. Und das schon ab morgen – mein Geld ging zur Neige, der vorhin dem Wächter abgelassene Hunderter brachte mich schon ins Minus.
    Ein Bekannter von mir meinte einmal, das Böse lasse sich heutzutage nur mit Geld besiegen. Eine interessante Beobachtung, wenn auch aus metaphysischer Sicht nicht ganz korrekt: Nicht von einem Sieg über das Böse kann die Rede sein, sondern von der Möglichkeit, sich vorübergehend davon loszukaufen. Ohne Geld aber hat das Böse dich binnen zwei, drei Tagen fest im Griff, das ist eine verbürgte Tatsache.
    Mit Spiegelfechtereien hätte ich es leicht zu einem Vermögen bringen können. Doch ein tugendhafter Werfuchs sollte sein Geld ausschließlich als Hure verdienen und seine hypnotische Gabe keinesfalls zu anderen Zwecken gebrauchen – ein Gesetz des Himmels, das zu missachten unstatthaft ist. Manchmal muss es freilich sein. Eben erst hatte ich den beiden Wachleuten Sand in die Augen gestreut. Doch das darf man sich nur erlauben, wenn Leben und Freiheit akut in Gefahr sind. An leichtgläubige Kassierer oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung hat ein Werfuchs keinen Gedanken zu verschwenden. Und wenn die Verlockung zu stark wird, muss man sich mit Beispielen aus der Geschichte wappnen. Jean-Jacques Rousseau hätte in Geld schwimmen können, aber was tat er sein Leben lang fürs tägliche Brot? Noten kopieren.
    In einem anderen Hotel unterzukommen war nicht einfach, ich sah deshalb für die allernächste Zukunft nur zwei Möglichkeiten: die Bordsteinkante oder das Internet. Letzteres erschien attraktiver – die Magistrale des Fortschritts schlechthin! Sich auf der Glasfasermeile feilzubieten war futuristisch und hatte Stil. Komisch, dachte ich mir, da redet nun alles unentwegt über den Fortschritt, und worin besteht er? Dass die alten Gewerbe sich ein elektronisches Interface zulegen. Daran, was eigentlich abgeht, ändert der Fortschritt nicht viel.
    Dem Chauffeur blieb meine düstere Stimmung nicht verborgen.
    »Was ist?«, fragte er, »hat dich wer beleidigt, Herzchen?«
    »Ach ja«, sagte ich.
    Der Letzte in der Reihe war er selber gewesen, als er den Preis für die Fahrt festgesetzt hatte. Dreihundertfünfzig!
    »Vergiss es«, meinte der Chauffeur. »Wenn du wüsstest, wie oft am Tag ich beleidigt werde! Nähme ich mir das alles zu Herzen, dann hätte ich bald einen

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