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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Luftballon voll Scheiße in der Brust. Schwamm drüber, das rat ich dir. Morgen ist es vergessen. Und das Leben ist lang, weißt du.«
    »Das weiß ich«, sagte ich. »Aber Schwamm drüber, wie soll das gehen?«
    »Einfach so. Denk an was andres. Irgendwas Schönes.«
    »Und woher nehmen?«
    Der Taxifahrer äugte im Spiegel nach mir.
    »Gibts denn gar nichts Schönes in deinem Leben?«
    »Nein«, entgegnete ich.
    »Wie kann das sein?«
    »Hat sich so ergeben.«
    »Ein einziges Jammertal?«
    »Klar. Ist doch bei Ihnen nicht anders.«
    »Mach halblang, Mädel«, lachte der Taxifahrer. »Das kannst du gar nicht wissen.«
    »Doch«, sagte ich. »Sonst säßen Sie ja nicht hier drin.«
    »Wieso?«
    »Ach, das könnte ich Ihnen erklären, aber … ich weiß nicht, ob Sie es verstehen.«
    »Pfffh!«, machte der Fahrer. »Glaubst du, ich bin doofer als du? Wenn du es verstanden hast, dann werd ichs wohl auch noch raffen.«
    »Na schön. Ist Ihnen klar, dass das Leiden die Materie ist, aus der die Welt besteht?«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Das ließe sich nur an einem Beispiel erklären.«
    »Dann tus.«
    »Kennen Sie die Geschichte vom Baron Münchhausen, der sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zieht?«
    » Kenn ich«, sagte der Chauffeur. »Hab ich sogar mal im Kino gesehen.«
    »Die Realität dieser Welt steht auf ähnlichen Fundamenten. Man muss sich vorstellen, dass Münchhausen im leeren Raum schwebt und sich mit aller Kraft die Eier quetscht, was höllisch wehtut, sodass er schreit wie verrückt. Einerseits bedauerlich. Andererseits ist seine Situation dadurch besonders heikel, dass er, wenn er seine Eier losließe, sich augenblicklich in Luft auflösen würde. Seiner Natur nach ist er nämlich nur ein Gefäß für den Schmerz, mit grauem Zopf. Sobald der Schmerz weg ist, verschwindet auch er.«
    »Haben sie dir das in der Schule beigebracht oder zu Hause?«, fragte der Chauffeur.
    »Weder noch«, sagte ich. »Auf dem Nachhauseweg von der Schule. Ich habe einen weiten Weg, da hört und sieht man so manches. Haben Sie mein Beispiel verstanden?«
    »Klar«, antwortete er. »Ich bin ja nicht blöd. Und jetzt hat dein Münchhausen also Schiss, seine Eier loszulassen, oder wie?«
    »Ist doch logisch. Er wäre sofort nicht mehr da, wie gesagt.«
    »Aber vielleicht wäre das ja besser so? Was ist das denn für ein Leben!«
    »Stimmt. Und deswegen existiert der Gesellschaftsvertrag.«
    »Gesellschaftsvertrag? Was ist das nun wieder?«
    »Jeder Münchhausen für sich genommen könnte beschließen, seine Eier fahren zu lassen, aber …«
    Mir fielen die Kulleraugen des Sikhs wieder ein, und ich verstummte. Irgendeine von meinen lieben Schwestern hat einmal behauptet, wenn dir einer während einer verunglückten Sitzung vom Schweif springt, dann blickt er sekundenlang der Wahrheit ins Auge. Und diese Wahrheit ist für einen Menschen so unerträglich, dass er als Erstes versucht, den Werfuchs zu töten, der die aufschlussreiche Offenbarung zu verantworten hat, und anschließend sich selbst … Andere Werfüchse wiederum sind der Ansicht, der Mensch begreife schlagartig, dass das Leben in diesem Körper ein dummer, peinlicher Fehler ist. Und dann versuche er als Erstes, sich beim Werfuchs für die Offenbarung zu bedanken. Um anschließend den Fehler der eigenen Existenz zu korrigieren. Das ist natürlich alles Quatsch. Aber wie solche Gerüchte in die Welt kommen, kann man sich denken.
    »Was, aber?«, fragte der Chauffeur nach.
    Ich tauchte aus meinen Gedanken auf.
    »Aber wenn sechs Milliarden Münchhausens einander kreuzweise bei den Eiern gepackt halten, hat die Welt nichts zu befürchten.«
    »Wieso?«
    »Ganz einfach. Sich selber könnte ein Münchhausen leicht loslassen, wie Sie ganz richtig bemerkten. Aber je kräftiger irgendein anderer bei ihm zudrückt, desto härter fasst er die beiden an, die er im Griff hat. Und so geschieht das sechs Milliarden Mal. Verstehen Sie?«
    »Pah! So was kann sich auch bloß eine Frau ausdenken.«
    »Da bin ich schon wieder anderer Meinung«, sagte ich, »es ist im Gegenteil ein extrem männliches Weltbild. Ein chauvinistisches, würde ich sagen. Die Frau kommt darin überhaupt nicht vor.«
    »Wieso nicht?«
    »Na. Die Frau hat nun mal keine Eier.«
    Den Rest des Weges fuhren wir schweigend.
    So kann es gehen: Du machst jemandem das Herz schwer, und schon wird dir leichter. Wie kommt das? Es ändert sich doch überhaupt nichts dabei – weder in deinem Leben, noch in dem anderen …

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