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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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versetzte ich gereizt. »Nirgends auf der Welt finden Sie zwei Namensvettern, die einander gleichen.«
    »Wie auch keine zwei gleichen Ameisen. Nichtsdestoweniger lassen sich Ameisen funktional klassifizieren … Nein, glauben Sie mir, ein Name ist nicht zu unterschätzen. Es gibt welche, die sind wie Zeitbomben.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Ich kann Ihnen eine Geschichte erzählen, aus dem Leben gegriffen. Am Institut für Archivwesen arbeitete ein Shakespeare-Forscher, der hieß Schitman. Er hatte promoviert zum Thema Ontologische und eigentumsrechtliche Aspekte von Sein oder nicht sein (sondern mein) oder etwas in der Art und beschloss nunmehr Englisch zu lernen, um seinen Nährvater endlich im Original zu lesen. Außerdem wollte er nach England fahren – London sehen und sterben, wie er sich ausdrückte. Er fing also an zu lernen. Und nach ein paar Lektionen kam er plötzlich drauf, dass Shit Scheiße bedeutet. Können Sie sich das vorstellen? Wäre er beispielsweise Chemielehrer gewesen – halb so schlimm! Aber bei einem Geisteswissenschaftler, wo sich alles um die Wörter dreht, wie schon Derrida bemerkte … Ein Shakespeareologe namens Schitman ist wie ein Goetheaner namens Schietmüller. Mit so einem Orden im Knopfloch kann man unmöglich dem Guten, Wahren und Schönen dienen. Schitman kam es bald schon so vor, als würde er im British Council schief angesehen … Der British Council hatte ganz andere Sorgen, die hatten die Steuerpolizei im Haus, aber Schitman bezog das alles auf sich. Sie wissen ja, meine Liebe, wenn einer sucht, womit er seine Paranoia füttern kann, dann findet er immer was. Lassen wir die traurigen Details beiseite: Einen Monat später war der Mann übergeschnappt.«
    Das war der Moment, wo die Wut in mir zu schäumen anfing, ich unterstellte ihm instinktiv, dass er mich beleidigen wollte, obwohl es dafür gar keine rationalen Anzeichen gab. Aber Selbstbeherrschung ist das Wichtigste, das fiel mir auch jetzt wieder ein. Und ich beherrschte mich.
    »Tatsächlich?«, fragte ich höflich nach.
    »Jawohl. Im Irrenhaus sprach er mit niemandem, brüllte nur immer die ganze Klinik zusammen, entweder brüllte er: Same shit different day! oder: Same shite different night! Er hatte also nicht ganz umsonst Englisch gelernt – etwas war hängen geblieben. Zuletzt wurde dieser Schitman in einem Auto mit Armeenummernschild abtransportiert, eine geheimdienstliche Zuführung, nennen wir es so. Was aus ihm geworden ist, weiß Keiner, und wer es doch weiß, behält es für sich. Ende des Sommernachtstraums. Und da behaupten Sie, Kindchen, Namen würden keine Rolle spielen. Und was für eine! Wenn Ihre Freundin ein böses Wort im Namen hat, landet sie früher oder später in der Klapsmühle. Unweigerlich. Schitman hat übrigens noch Glück gehabt, dass der Geheimdienst ein Interesse an ihm hatte. Sie haben ja sicher schon davon gehört, was in Klapsmühlen hierzulande für Zustände herrschen. Da kriegt man für eine Zigarette einen geblasen …«
    Das Training des Geistes mit Hilfe einer Reizperson gleicht einem Hasardspiel, bei dem alles auf eine Karte gesetzt wird. Der Gewinn pflegt sehr hoch zu sein. Doch wenn man kippelt und abstürzt, hat man alles verloren. Die Arbeit auf Pump hätte ich verkraftet, den Goetheaner Schietmüller und das dreckige Fluchen – wäre er nicht noch auf das Blasen für Zigaretten gekommen. Dem war ich nicht gewachsen.
    »Kindchen!«, brüllte Pawel Iwanowitsch. »Was ist denn in dich gefahren? He, was tust du da! Du Biest! Hilfe! Polizei!!«
    Der Ruf nach der Polizei brachte mich zur Besinnung. Doch es war zu spät: Pawel Iwanowitsch hatte drei Peitschenhiebe gefangen, für die sich selbst ein Mel Gibson nicht hätte schämen müssen. Auch wenn diese Hiebe rein hypnotisch waren – das Blut auf seinem Rücken war echt. Natürlich bereute ich, was ich getan hatte, aber das kommt ja immer eine Sekunde zu spät. Außerdem war ich im Grunde meines Herzens wieder listig gewesen: Voraussehend, dass mich gleich die Reue packen würde, geistig schon dabei, die Pose der reuigen Sünderin einzunehmen, wisperte ich noch ganz zuletzt, mit rachsüchtiger Wollust: »Da hast du eine vom Jungen Russland, du alter Bock!«
    Blicke ich auf mein Leben zurück, so finde ich darin nicht wenige dunkle Punkte. Doch für diesen Moment empfinde ich eine besonders heftige Scham.
     
    Viele Tempel in Asien erstaunen den Reisenden durch den Gegensatz zwischen der Kargheit der leeren Räume und

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