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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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hier beim Flagellieren sind oder in einer Lesestube?«
    »Pardon, Herzchen«, sagte er, »aber dieses Interview hier empört mich. Das ist doch wirklich die Höhe!«
    Er schnippte mit dem Finger auf das Journal.
    »Ich habe ja nichts gegen Krimis, aber wenn Krimischreiber einem erklären wollen, wie Russland umzuorganisieren wäre, da geht mir der Hut hoch!«
    »Wieso denn?«
    »Es wäre dasselbe, als würde die Minderjährige, die von einem Fernfahrer mitgenommen worden ist, damit sie ihm einen bläst, plötzlich den Kopf von ihrem Arbeitsplatz heben und Anweisungen erteilen, wie man einen Vergaser bei Frost zu reinigen hat.«
    Anscheinend merkte Pawel Iwanowitsch nicht mal, wie nahe er mir und meinem Gewerbe damit trat. Doch gelang es mir, die anschwellende Wut zu bemerken, bevor sie mich übermannte, wodurch sich in meinem Gemüt sogleich heitere Gelassenheit breitmachte.
    »Was ist denn dabei?«, fragte ich, ohne mit der Wimper zu zucken. »Vielleicht hat sie schon so viele Fernfahrer bedient, dass sie über alle Feinheiten im Bilde ist und tatsächlich einen Vortrag darüber halten könnte, wie man einen Vergaser reinigt.«
    »Solche Fernfahrer können mir leidtun, Herzchen, die einen sprechenden Blasebalg als Ratgeber nötig haben. Die kommen nicht weit.«
    Einen sprechenden Blasebalg, soso. Was bildete sich dieser verdammt-… Erneut spürte ich die Wut in mir hochsteigen – früh genug, um sie am Ausbruch zu hindern.
    Das war großartig. Als würde man bei Sturm aufs Surfbrett springen und damit auf den Wellenkämmen destruktiver Emotionen dahinjagen, die einem doch nichts anhaben können! Wäre das gemeinhin so, dachte ich, wie viele Menschen könnten noch am Leben sein … Pawel Iwanowitsch in der Sache zu widersprechen, versuchte ich gar nicht erst. Wir Werfüchse auf den überweltlichen Wegen des Dao sollten zu diesen Dingen besser keine eigene Meinung haben. Fest stand nur: Pawel Iwanowitsch war als Sparringspartner für den Geist Gold wert.
    Leider merkte ich zu spät, dass dies doch eine Überforderung für mich war. Das erste Mal, als ich die Kontrolle über mich verlor, ging es noch ohne Körperverletzung ab. Ein Satz, den er über Nabokov äußerte, ließ mich ausrasten. (Nicht zu reden davon, dass er die Xerokopie eines Aufsatzes auf dem Tisch liegen hatte, der den Titel Ein Friseur erscheint den Kellnern: Das Phänomen Nabokov in der amerikanischen Kultur trug.)
    Ich liebte Nabokov seit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als ich über hochgestellte Kundschaft vom NKWD seine Pariser Texte in die Hand bekommen hatte. Ach, welch ein frischer Wind mich von diesen Manuskriptseiten anwehte, in jener düsteren Stadt zur Stalinzeit! Eine Stelle, entsinne ich mich, gefiel mir ganz besonders, sie stand im Pariser Poem , das ich nach dem Krieg kennen lernte:
     
    Wenn mein Leben (ein Schaustück im Jetzt und Hier,
    alter Hut zwar, gleichwohl singulär,
    insofern es in neuer Besetzung spielt)
    ein gemusterter Teppich war…
    Wenn den Teppich ich neu zu verlegen hätt,
    ich verlegte ihn peinlich korrekt:
    dass das flüchtige Muster der Gegenwart
    mit dem klaren von einst sich deckt.
     
    Da hatte Vladimir uns Werfüchse gemeint! Genauso ist es: Wir wohnen einer endlosen Theateraufführung bei, wo eitle Mimen sich produzieren, die meinen, sie wären die Ersten, die das auf die Bretter bringen. Unglaublich schnell sind sie abgetreten, und an ihre Stelle tritt ein neues Aufgebot, das dieselben Rollen mit demselben Pathos zu spielen anhebt.
    Die Kulissen sind freilich jedes Mal neu – etwas zu neu sogar. Doch das Stück wird schon seit langem nicht mehr geändert. Und da wir uns nun einmal an glänzendere Zeiten erinnern können, nagt in uns die Sehnsucht nach der verlorenen Schönheit, dem verlorenen Sinn. Kurzum, diese Zeilen brachten ganz verschiedene Saiten in mir zum Klingen … Der Teppich aus dem Pariser Poem kam übrigens auch in Humbert Humberts Gedicht wieder aufs Tapet:
     
    Wohin fliegst du, Dolores Haze?
    Von magischem Teppich getragen?
    Im Jaguar-Magen des Cabriolets?
    Ach, wo parken dein Herz und dein Wagen?
     
    Den Parkplatz kenne ich nicht, aber ich weiß, welcher Teppich. Er wurde in Paris gewebt, anno achtunddreißig, an einem Sommertag unter weißen Haufenwolken, die reglos am lasurblauen Himmel standen, und gelangte eingerollt bis nach Amerika … Die ganze Scheußlichkeit des Zweiten Weltkriegs war nötig, die ganze Monstrosität des von ihm diktierten Wahlausgangs, damit er

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