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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Bars an der Bangla Road, fünf Minuten von meinem Salon entfernt, noch was dazuverdienen. Die Arbeit am Tag schlaucht genug, und dann soll man dort noch in bunte Fähnchen steigen und auf die
    Bühne rausgehen. Eigentlich gar keine Bühne, bloß ein Tresen, auf dem wir Mädchen uns mit Nummern auf der Brust langsam von Stange zu Stange schieben; unten in der Bar sitzen die Farangi, trinken kaltes Bier und können sich ewig nicht entscheiden. Wenn man auf die Art, mit zwei Jobs, fünfzig Dollar pro Tag auf die Kante legen kann, hat man Glück gehabt.
    Die Lebensgrundlagen sind hier aus den Fugen geraten. Die thailändischen Mädchen sind bienenfleißig und bescheiden. Doch fliegen die Bienen in natürlicher Umgebung von Blüte zu Blüte und sammeln emsig ihren Nektar ein. Kippte man aber nun neben dem Bienenstock einen Eimer Zuckermelasse aus, würden sie sich darauf stürzen, keine Biene flöge mehr zu den Blumen auf die Wiese. Auf dieselbe Art verdirbt der Westen mit seinen Exkrementen unseren tropischen Garten, indem er Ströme von Dollarmelasse aus den Strandhotels drüberschwappen lässt. Euer Russland ist für uns, nebenbei gesagt, genauso ein Sexausbeuter wie die anderen, und dass es momentan nur ein Rohstoffanhängsel für die westlichen Länder ist, mindert nicht seine moralische Schuld. Wobei man freilich auch Thailand gewissermaßen als Rohstoffanhängsel bezeichnen könnte … Glaube nur nicht, dass ich dem Dogmatismus verfallen bin, heute war einfach ein heißer Tag, und ich bin sehr müde.
    Was übrigens Russland angeht: Vor kurzem war unsere Schwester I mit Lord Kricket, ihrem neuen Gemahl, bei uns in Phuket (das Dummerchen ist ganz happy). Von ihr bekam ich eine erstaunliche Sache zu hören. Du erinnerst dich an die Weissagung vom Überwertier? I meint, der Ort, von dem in der Weissagung die Rede ist, sei Moskau. Ihre Herleitung hat etwas für sich. Die Weissagung lautet, das Überwertier sei in einer Stadt zu erwarten, wo ein Tempel geschleift und hernach in alter Form wiederaufgebaut worden sei. Jahrhundertelang war man der Meinung, es könnte sich nur um Jerusalem handeln, und die Erscheinung des Überwertiers wäre als Prophetie an das Ende aller Zeiten geknüpft, eine Art Apokalypse. I Huli hingegen ist der Meinung, dass wir da einfach nur dem Einfluss der jüdisch-christlichen Symbolik erlegen sind, dem Kurzschluss: Tempel gleich Jerusalem …
    Tatsächlich ist in der Weissagung kein Hinweis auf Jerusalem zu finden. Während in Moskau vor nicht langer Zeit eine im Zuge der Kulturrevolution zerstörte Christus-Erlöser-Kathedrale wiedererrichtet worden ist (falls Schwesterchen I den Namen nicht verwechselt hat). Und zwar exakt in der ursprünglichen Form – da beruft sie sich auf Informationen von Dir. Ich denke, Du kannst in Bälde mit einem Besuch von ihr und ihrem Mann rechnen, der an den mystischen Forschungen lebhaften Anteil nimmt.
    Dieser Lord Kricket ist aber beileibe nicht bloß Mystiker. Als Kunstmäzen und Sammler, der mit vielen Galerien kooperiert, hat er in London einen Namen. Außerdem ist er einer der Führer von Countryside Alliance, einer Organisation, die Dir bestens bekannt sein dürfte, da sie das Verbot von Fuchsjagden boykottiert. Ich weiß, wie schwer es einem fällt, solch eine Person ungeschoren ziehen zu lassen. Doch bitte ich Dich zu bedenken, dass Schwester I noch keine Entscheidung über seinen Nachfolger getroffen hat. Also zügele Dich, so wie ich es getan habe. Besser ist es, Du betrachtest die Dinge mit heiterer Gelassenheit: Der Lord betreibt seine Superwerwolfsuche, wo er geht und steht, mit Ausnahme des eigenen Schlafzimmers vielleicht. So sind die Menschen nun mal. Ich frage mich nur, woher dieses Interesse am Übernatürlichen bei ihm rührt? Obwohl, es ist ja nicht selten, dass die Vertreter der ausbeutenden Klassen okkulten Neigungen verfallen, um darin die Rechtfertigung für ihre eigene parasitäre Existenz zu finden.
    Ich wollte Dich noch um Rat fragen: ob ich nicht vielleicht nach Russland umziehen sollte? Die russischen Touristen gefallen mir – sie sind gutmütig, geben viel Trinkgeld und schlafen schnell ein, weil sie betrunken sind. Auf der Brust von einem habe ich eine hübsche Tätowierung gesehen: Lenin, Marx, Hammer und Sichel! Dabei war er noch ganz jung. Ihm habe ich sehr gefallen. Er hat mich auf Video aufgenommen und mir geraten, nach Russland zu kommen. »Mit deiner Schönheit könntest du in Russland Karriere machen«, hat er gesagt.

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