Das heilige Buch der Werwölfe
Nachdenken ziehen Sie Ihre Nase so niedlich kraus.«
Da fuhren wir schon auf der Straße.
»Wir haben einander übrigens noch gar nicht vorgestellt. AlexanderSery 4 . Sascha, wenn Sie mögen. Sie kennen sicher diesen SaschaBely 5 aus dem Fernsehen? Dasselbe in Grau, sozusagen.«
»Sascha Bely? Nie gehört. Andrej Bely, den habe ich gekannt.«
»Andrej Bely?«, fragte Alexander zurück, mit leichtem Befremden, wie mir schien. »Na, gut. Wie heißen Sie denn?«
»Adèle.«
»Adèle?« Seine Augen wurden rund vor Staunen. »Und das ist kein Scherz?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Das ist ja unglaublich. Wenn Sie wüssten, wie viel in meinem Leben mit diesem Namen in Zusammenhang steht! Unsere Begegnung kann kein Zufall sein. Und dass Sie jetzt so einfach in meinem Auto sitzen …«
»Womit füttert man eigentlich Bären?«, fragte ich.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Sie binden mir gerade einen auf.«
Er lachte.
»Sie glauben mir nicht? Das mit Adèle?«
»Nein«, sagte ich.
»Ich kann Ihnen erklären, was ich meine. Wenn es Sie interessiert.«
»Doch, doch.«
Es interessierte mich wirklich.
»Kennen Sie das Spiel Final Fantasy 8 auf der PlayStation?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich hab das seinerzeit mal fast bis zu Ende durchgespielt – und das hat gedauert. Aber kurz vorm Ende tauchte die Hexe Adèle auf. Eine Schönheit. Übermenschengröße! Und sehr sehenswert animiert: Wie sie aufwacht, die Augen aufschlägt und von einem Strahlenfächer umgeben ist, der wie das Logo vom Universal-Studio aussieht, und wie sie dann in ihrem Sarg zur Erde fliegt. «
»Von wo kommt sie her?«
»Vom Mond.«
»Ah ja. Und wie endet das Ganze?«
»Weiß ich nicht«, erwiderte er. »Das ist es ja gerade. Ich konnte sie nicht besiegen. Alle anderen habe ich gekillt, an ihr bin ich gescheitert. Drum war das Spiel für mich zu Ende … «
»Und warum hat sich Ihnen das so besonders eingeprägt?« fragte ich. »Es gibt doch einen Haufen solche Spiele.«
»Weil mir bis dahin immer alles im Leben gelungen war.«
»Alles?«
Er nickte.
»Na gut«, sagte ich. »Wird wohl so sein.«
»Sie glauben mir nicht?«
»Doch, doch. Man sieht's ja an dem Auto.«
Ein paar Sekunden fuhren wir schweigend. Ich blickte aus dem Fenster. Wir näherten uns dem Anfang des Twerskoi Bulwar.
»Ein neues Restaurant«, sagte ich. »Palazzo Ducale. Sind Sie schon mal da gewesen?«
Er nickte.
»Wen trifft man da so?«
»Die Üblichen.«
»Und wovon reden die Leute?«
Er dachte einen Moment nach. Dann sprach er mit gekünstelter Frauenstimme: »Was meinen Sie, ob der Shetschkow wohl schlechte Träume hat, wenn er jetzt in der Datscha von Volkskommissar Jeshow wohnt?« Die Antwort kam postwendend mit ebenso gekünstelter Bassstimme: »Nein, aber Volkskommissar Jeshow würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass Shetschkow jetzt in seiner Datscha wohnt…«
»Und wer ist Shetschkow?«, fragte ich.
Er blickte mich argwöhnisch an. Anscheinend musste man diesen Shetschkow kennen. Ich nahm mir vor, im Internet nachzuschauen.
»Nur so ein Beispiel«, sagte er. »Dafür, was dort so geredet wird.«
Ich erinnerte mich an Jeshows Datscha, wie sie in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts gewesen war. Mir hatten die Gipslöwen mit den Kugeln unter den Tatzen am Eingang gefallen – die Visagen immer so ein bisschen schuldbewusst, als wüssten sie, dass sie ihren Hausherrn doch nicht bewachen konnten. Fast genau so ein Löwe hatte tausend Jahre zuvor vor dem Tempel der Huayan-Sekte gestanden – allerdings aus Gold, und mit einer Inschrift an der Seite, die ich bis heute auswendig weiß:
Wenn lebendige Geschöpfe irren, so liegt es daran, dass sie glauben, man könnte das Falsche verwerfen und die Wahrheit erkennen. Doch wer sich selbst erkennt, für den wird das Falsche wahr, und da ist keine andere Wahrheit, die man danach noch erkennen müsste.
Ach, was hatte man damals für Leute um sich! Wer wäre heute noch in der Lage, den Sinn dieser Worte zu erfassen? Alle sind sie in höhere Welten entschwunden. Nicht einmal aus Mitleid möchte einer noch in dieses Höllenlabyrinth hineingeboren werden, ich allein tappe hier durch das Dunkel… Wir stoppten an einer Kreuzung.
»Sagen Sie, Alexander, wohin fahren wir eigentlich?«, fragte ich.
»Vielleicht kennen Sie hier in der Nähe ein gutes Juweliergeschäft? Ich meine, ein wirklich gutes?«
Immer wenn ich in einer teuren Boutique erlebe, wie ein Kavalier einer jungen
Weitere Kostenlose Bücher