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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Zusammenhang zwischen der runden Form einer Münze und der die antike Stadt umgebenden Mauer, usw. usf. Ich denke, wenn Spengler Gelegenheit hätte, sich mit dem Russland der Gegenwart zu befassen, so würde ihn die Frage am meisten interessieren, die auch Dich beschäftigt: die regionale Elite.
    Sie ist wirklich einmalig. Der junge Mann hat Dich falsch informiert. Vom Scharwenzeln um diese Klientel ist noch keiner reich geworden, im Gegenteil: Das Geld kann dabei nur weniger werden, sonst bliebe die Elite ja keine Elite. In alten Zeiten war ein jeglicher Angestellter unter dem Himmel bemüht, den allgemeinen Gang der Dinge voranzutreiben. Hier hingegen stellt jeder seinen eigenen kleinen Schlagbaum in diesen Gang und möchte ihn nur gegen Geld wieder heben. Dieses Voreinanderheben von Schlagbäumen macht den Kern des hiesigen Gesellschaftsvertrages aus.
    Die Elite teilt sich hierzulande in zwei Flügel – Unternehmer (vugo: Von-Unten-Nehmer) und Apparat (Upper rat). Von-Unten-Nehmer bilden die Business Community, die vor der Macht im Dreck kniet, weil diese jedem Geschäft zu jeder Zeit einen Riegel vorschieben kann, denn jedes Geschäft hat nun einmal seine kleinkriminellen Anteile. Und »Upper rats«, das sind die Politiker, die bei jedem Geschäft abstauben. Der Endeffekt ist, dass die einen wegsehen, wenn die anderen wegschaffen, und dafür selber auch unbehelligt wegschaffen dürfen. Was denkst Du, wie vielen Leuten es gelungen ist, in diesem geschlossenen Karree auf freiem Feld unterzukommen! Wobei es zwischen den beiden Flügeln keine scharfen Abgrenzungen gibt, einer geht fließend in den anderen über, zusammen ergeben sie eine große, fette, geile Ratte, die es sich selbst besorgt. Und um diesen schmatzenden Uroboros möchtest Du herumscharwenzeln? (Uroboros, das ist ein altes alchimistisches Symbol: eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt – in unserem Fall hat das Ganze eher urologische Untertöne.)
    Die Reformen, von denen man Dir erzählt hat, sind durchaus nichts Neues. Solange ich mich erinnern kann, sind sie ständig im Gange. Sie laufen darauf hinaus, dass von allen Zukunftsoptionen nach größtmöglicher Verzögerung die fieseste gewählt wird. Am Beginn jeder Reform steht die Verlautbarung, dass der Fisch vom Kopf her stinkt, worauf die Reformkräfte den gesunden Körper zerlegen und verspeisen, und der faule Kopf schwimmt weiter. Daher ist alles, was schon unter Iwan dem Schrecklichen gestunken hat, noch am Leben, während das, was vor fünf Jahren noch gesund war, aufgefressen ist. Unsere Upper rats hätten sich anstelle des Bären lieber diesen Fischkopf auf die Fahnen zeichnen sollen. Obwohl, der Bär ist auch nicht ohne: ein internationales Symbol für wirtschaftliche Stagnation, und den Phraseologismus »einen Bären aufbinden« denke man sich hinzu. Im Russischen gibt es außerdem den Ausdruck »auf die Tatze geben« – was das heißt, kannst Du Dir sicher denken. So wie es bei den Eskimos dreißig Wörter gibt, um dreißig verschiedene Sorten Schnee zu benennen, so hat das moderne Russisch ungefähr genauso viele Ausdrücke für das Bestechen von Amtspersonen.
    Die Russen lieben ihr Land trotzdem, ihre Dichter und Denker vergleichen die Zustände traditionell mit einem Bleigewicht am Fuß des Märchenriesen: damit er nicht gar zu schnell durch die Welt fegt… Na, ich weiß nicht. Ich habe schon lange keinen Riesen mehr gesehen, nur Ölpipelines und Ratten, die daran kleben und sich den mystisch-autokephalen Uroboros geben. Manchmal kommt es mir so vor, als hätte das russische Dasein keinen anderen Zweck, als dieses Ensemble durch die Schneewüsten zu zerren. Man versucht einen geopolitischen Sinn darin zu erkennen und kleine Völker damit zu beeindrucken.
    Nehmen wir noch zwei weitere, miteinander verflochtene Aspekte der hiesigen Kultur unter die Lupe: eine streng tabuisierte Lexik, die die Alltagskommunikation der Menschen bestimmt, und Gesetze, die die Lebensordnung des Normalbürgers kriminalisieren (was den Gesichtern der Leute ein unauslöschliches Stigma von Sünde aufdrückt), so hätten wir das Erscheinungsbild der Gesellschaft, die zu besuchen du dich anschickst, in Kurzfassung komplett. Freilich ließe sich die Liste beliebig verlängern: Man könnte die Tresortüren vor den Wohnungen hinzunehmen oder die metaphysisch getrimmten Kino-Blockbuster, wo das Böse sich vom Guten füttern lässt, weil im Gegenzug auch das Gute sich vom Bösen … und so fort. Genug

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