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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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einer Festung und so weiter – es muss die Belagerung einer Stadt zur Zeit des Aufstands der Gelben Turbane gewesen sein. Ich war unter den Verteidigern und schleuderte schwere Wurfspieße von der Mauer hinab.
    Symbolik muss mir keiner erklären, dagegen bin ich allergisch. In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts machte ich mir selbst einen Spaß daraus, unseren roten Freudianern die romantischen Köpfe zu verdrehen, indem ich ihnen erfundene Träume erzählte: »Und dann fielen uns die Schweife ab, und es hieß, sie steckten nun in einer Kokosnuss, die über einem Wasserfall hängt.« Wenn ich im Traum Spieße werfe, heißt das nicht, dass ich mir über die Symbolik des Geschehens nicht im Klaren bin. Aber es heißt erst recht nicht, dass ich mir Rechenschaft darüber ablege. All diese Rechenschaftsberichte habe ich vor langer Zeit ins Archiv gegeben, es sind Staubfänger.
    Nach dem Ausschlafen arbeitete mein Kopf klar und präzise, und das Erste, worüber ich nachdachte, war der finanzielle Aspekt der Geschichte. Mein persönlicher Index rückte in den zartgrünen Bereich: Wenn zwei Ringe im Laden dreiundzwanzigtausend kosten, heißt das, man kann sie für circa fünfzehntausend losschlagen.
    Andererseits tat es mir um die Ringe leid – in den letzten hundert Jahren waren mir selten einmal solche hübschen Dingelchen dargebracht worden. In Sowjetrussland hatten diesbezüglich strenge Sitten geherrscht: Noch in der späten Breshnew-Zeit war es die Regel gewesen, dass wenn ein Mann mit seinem Einkaufsbeutel in einen Juwelierladen ging und eine Brosche für dreißigtausend Rubel kaufte, die ganze zentrale Presse eine Woche lang darüber herzog und die empörte Frage stellte, wo denn die zuständigen Organe ihre Augen hätten, Dreißigtausend Rubel waren in jenen Jahren der Stagnation zwar tatsächlich eine ganze Stange Geld. Doch wozu legten sie die Brosche dann überhaupt ins Schaufenster? Als Köder womöglich? So hätte man die Entrüstung der Presse noch verstehen können: Der Köder war abgefressen, der Fisch über alle Berge.
    So hatte es mir jedenfalls der Chef des Jelissejewschen Feinkostladens mit heißem Lachen ins Ohr geflüstert, als er mir die Brosche schenkte. Er war ein vorsichtiger Mann; die Leidenschaft ließ einen Romantiker aus ihm werden. Der Ärmste wurde damals erschossen, er tat mir Leid. Die Brosche deswegen zu tragen brachte ich aber nun auch wieder nicht über mich. Sie war ein unübertreffliches Musterbeispiel für sowjetischen Kitsch: Smaragdgurken und Rubinrüben in einem Kranz aus Brillantähren. Zum ewigen Gedenken an die einzige von Sowjetrussland je verlorene Schlacht: die Ernteschlacht…
    Als ich mich an den Ringen satt gesehen hatte, schaute ich endlich ins E-Mail-Postfach. Es gab nur einen Brief, dafür einen sehr angenehmen: von meiner Schwester E Huli, die ich eine Ewigkeit nicht gesehen hatte.
     
    Grüß Dich, Rotfuchs!
    Was macht das Leben? immer noch mit sittlicher Selbstvervollkommnung beschäftigt? Suchst einen Ausweg aus den Labyrinthen der illusorischen Welt? Schön wärs, wenn wenigstens eine aus unserer leichtlebigen Großfamilie ihn eines Tages fände.
    Ich für mein Teil habe mich in diesen Labyrinthen hoffnungslos verirrt. Bin immer noch in Thailand, nur endlich von Pattaya weggezogen. Das Meer ist in den letzten dreißig Jahren vollkommen verdreckt. Außerdem hat die Konkurrenz vonseiten der einheimischen Frauen so zugenommen, dass das Werfuchsgewerbe immer schlechter geht. Hier steht alles Kopf: In den meisten Ländern ist die Freude groß, wenn ein Junge geboren wird, hier hingegen freut man sich über ein Mädchen und sagt – wortwörtlich: Wie gut, dass es ein Mädchen ist, dann brauchen wir auf die alten Tage nicht zu hungern! Wenn Konfuzius das hören könnte, er würde sich am eigenen Zopf erhängen.
    Die Insel Phuket, wo ich neuerdings wohne, ist bis jetzt noch halbwegs sauber, in zehn Jahren wird es hier genau wie in Pattaya aussehen. Zu viele Touristen. Ich bin am Patong Beach untergekommen, arbeite in Christine's Massagesalon. Wir Masseusen sitzen, mit Rouge geschminkt wie böse Geister, in einem speziellen Schauraum auf der Bank. Die krebsroten Farangi (so nennen wir die Touristen aus dem Westen) kommen von der Straße herein und suchen sich eine aus. Dann gehts ins Séparée, den Rest kannst Du Dir vorstellen. Ich gelte als hervorragende Spezialistin für Thai-Massage, darum koste ich mehr als die anderen, muss aber trotzdem abends in den

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