Das heilige Buch der Werwölfe
war er von einem Tag auf den anderen gelähmt, und ich musste nach neuen Möglichkeiten Ausschau halten. Über ein Jahr ist das Hotel National mein Standbein gewesen, doch wurde die Lage dort kompliziert, nachdem mir ein Kunde vom Schweif sprang. Und jetzt dringen die Probleme von allen Seiten auf mich ein. Sie sind wahrscheinlich zu speziell russisch, als dass Du sie nachvollziehen könntest. Jedenfalls sind sie bitter ernst.
Ich kann mir denken, dass Du mit Dir selber genug zu tun hast, Trotzdem wollte ich Dich um Deinen Rat und Deine Anteilnahme bitten. Sollte ich nicht vielleicht nach England gehen? Dass ich mit den Engländern gut zurechtkäme, dessen bin ich mir sicher. Etliche von ihnen habe ich im National kennen gelernt, sie scheinen mir ein anständiges Volk zu sein. Ich werde öfters in Pfund ausgezahlt, diesbezüglich würde ich also keinen Kulturschock erleiden. Bitte schreib mir recht, bald, ob sich in London nicht vielleicht ein nettes Plätzchen für A Huli finden ließe?
Ich liebe Dich und denk an Dich,
Deine A
Kaum hatte ich den Brief abgesandt, klingelte das Handy. Die Nummer war nicht festzustellen, und mein Herz machte einen Sprung. Ich ahnte, wer es war, noch bevor ich die Stimme hörte.
»Grüß dich«, sagte Alexander. »Du sprachst von drei Tagen, aber das ist mir zu lange. Kann ich dich morgen sehen? Und wenn es fünf Minuten sind.«
»Gut«, sagte ich, bevor ich nachdenken konnte.
»Dann schicke ich Michalytsch. Er ruft dich an. Küsschen.«
Die Fahrstuhltür ging auf, Michalytsch und ich betraten das Penthouse. Alexander saß in seiner Generalsuniform im Sessel und sah fern. Er wandte sich um, sprach aber nicht zu mir.
»Na sag mal, Michalytsch, da haben sich eure Leute wohl wieder kräftig selber angepisst?«, fragte er fröhlich und nickte in Richtung des langen LCD-Panels, auf dem zwei Sender nebeneinander liefen: Über die eine Bildhälfte sprangen weiße und tote Fußballer, auf der anderen schwätzte Aslan Udojew, ertrug jetzt ein Pflaster an der Stirn, mit dem dunkellila Bart sah er aus wie der böse Karabas im Märchen.
»Jawohl, Genosse Generalleutnant«, erwiderte Michalytsch verlegen. »Selber angepisst, die ganze Abteilung.«
»Mäßige deine Worte vor der jungen Dame.«
»Zu Befehl.«
»Was ist passiert?«
»Vollkommen unbegreiflich. Unvorhergesehene Störungen. Anscheinend hat sich das Signal vom Rundfunkzeitdienst drübergelegt.«
»Also alles wie immer«, sagte Alexander. »Sobald irgendwie Scheiße passiert, wird die Technikabteilung vorgeschoben.«
»Zu Befehl, Genosse Generalleutnant.«
»Tuts euch nicht Leid um den Akteur?«
»Ach …« Michalytsch winkte ab. »Solche Shakespeareforscher haben wir zur Genüge im Dienst. Nur an Shakespeares fehlts im Revier.«
»Hatte ich mich nicht klar genug ausgedrückt, Michalytsch? Du sollst das Fluchen sein lassen.«
Alexander warf einen Seitenblick auf mich.
»Zu Befehl. Soll ich einen Ermittlungsantrag stellen?« »Keinen Ermittlungsantrag. Das ist nicht mein Bier, sollen die es auslöffeln, die es eingebrockt haben. Solchen Papierkram mag ich nicht. Auf dem Papier geht immer alles gut aus, anders als im Leben … wie du siehst«, er nickte zum Bildschirm hin.
»Zu Befehl, Genosse Generalleutnant.«
»Du kannst gehen.«
Alexander wartete, bis die Tür sich hinter Michalytsch geschlossen hatte, dann erhob er sich und kam zu mir. Ich konnte mir denken, dass er vor seinem Untergebenen keine Gefühle hatte zeigen wollen, tat aber dennoch ein bisschen pikiert und rückte ab, als seine Hand meine Schulter berührte.
»Hättest mir ruhig erst mal guten Tag sagen können, bevor du dich mit dieser Knalltüte über Fußball unterhältst. Und überhaupt, stell endlich den Fernseher ab!«
Auf dem Bildschirm war kein Udojew mehr zu sehen, sondern ein kecker junger Mann auf seinem Trike. »Heute kann sich meine Crew eine anzünden! Marlboro natürlich!«, rief er, dann erlosch das Bild.
»Entschuldige«, sagte Alexander und warf die Fernbedienung zurück auf den Coachtisch. »Guten Tag.«
»Und außerdem, wie redest du denn? Wie ein besoffener Klempner.«
»Na genau. Frei von der Fettleber weg!«
Ich lächelte. Ein paar Sekunden schauten wir uns schweigend in die Augen.
»Wie gehts dir?«, fragte er dann.
»Danke, schon besser.«
»Und was trägst du in dem Korb mit dir herum?«
»Das hab ich dir mitgebracht«, sagte ich verschämt.
»Lass sehen …«
Er nahm mir den Korb aus den Händen, riss
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