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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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warst. Wie sehr ich sie doch um ihr bescheidenes, doch redliches und glückliches Leben beneide! Sie klagt, müde von der Arbeit zu sein. Aber das ist bestimmt eine selige Art Müdigkeit – wie der Bauer sie nach einem langen Tag auf dem Acker spürt. Von solcher Müdigkeit heilen alle seelischen Wunden, gerät aller Gram in Vergessenheit – um dieser Müdigkeit willen ist Lew Tolstoi hinter seinem Pflug hergestiefelt. In der Stadt ermüdet man auf andere Art. Du kennst die Pferde, die in diesen Göpeln im Kreis gehen, zum Wasserpumpen. Du und ich, wir sind, bedenkt man es recht, genau solche armen Viecher. Der Unterschied ist nur, dass ein Göpelgaul mit seinem Schweif die Schmeißfliegen vertreibt, die sich an ihm gütlich tun wollen, während wir beide den Schweif benutzen, um Schmeißfliegen anzulocken und uns an ihnen gütlich zu tun. Außerdem ist das Pferd ein Nutztier für den Menschen, wir hingegen … Sagen wir es so: Wir sind Nutznießer. Aber ich weiß, Du kannst das Moralisieren nicht ausstehen.
    E Huli schrieb, Du habest einen neuen Lord an Deiner Seite. Führst Du über sie wenigstens Buch? Gerne würde ich ein Auge auf ihn werfen, solange es sich noch lohnt:)))) Wie E Huli weiter schrieb, interessierst Du Dich in letzter Zeit sehr für Überwertiere. Und dass Du mich nach der zerstörten Kathedrale ausgefragt hast, scheint auch nicht zufällig gewesen zu sein.
    Es stimmt, die Weissagung vom Überwertier verheißt sein Erscheinen in einer Stadt wo ein Tempel von dem kein Stein auf dem anderen blieb, wiedererrichtet wurde. Doch muss man sehen, dass diese Weissagung runde zweitausend Jahre alt ist, damals waren Vergleiche und Allegorien noch sehr im Schwange, alles Wesentliche kam ausschließlich in Gleichnissen zur Sprache. Die Weissagung wurde in der Sprache der inneren Alchimie getroffen: Stadt bedeutet Seele, der Tempel, »zerstört und wieder aufgebaut«, meint das Herz, das der Macht des Bösen verfallen und dann auf den Pfad des Guten zurückgekehrt ist. Bitte suche in diesen Worten nach keinem anderen Sinn.
    Ich wage es, eine Vermutung zu äußern, die Du mir bitte nicht übel nehmen solltest. Du lebst schon so lange im Westen, dass das christliche Mythologem in Deinem Denken unbemerkt Keime getrieben hat. Überleg doch mal selbst: Du wartest darauf dass irgendein Superwertier kommt, uns all unsere Werfuchssünden vergibt, unsere Seelen wieder so rein werden lässt wie im Ursprung der Zeiten. Jetzt pass mal auf, was ich Dir sage: Zu uns Werwesen wird nie ein Messias kommen. Doch jedes von uns kann sich ändern, kann seine eigenen Schranken überwinden. Darin liegt der Sinn der Formulierung Über-Werwesen – der, welcher seine Grenzen hinter sich lässt, hat sich selbst überwunden. Das Überwerwesen kommt weder aus dem Osten noch aus dem Westen, es kommt von innen. Das wird der Tag der Sühne sein. Und es gibt nur einen Weg dorthin. Jawohl, es sind die Gebote, die Dich so ankotzen:
    1. Barmherzigkeit;
    2. Schonung für die Schwachen dieser Welt, die Tiere und die Menschen – jedenfalls wann immer es sich einrichten lässt;
    3. das Wichtigste: unermüdlich die eigene Natur zu erforschen.
    Kurz und knapp gesagt (mit Nietzsches Worten, für unseren Fall leicht paraphrasiert), ist das Geheimnis ganz simpel: Überwinde das Tier in dir! Denn dass Du den Menschen bereits überwunden hast, daran zweifle ich nicht:))))
    Gedenke der Meditationsstunden, die Du einst beim Lehrer vom Gelben Berg nahmst. Glaub mir, in den reichlich tausend Jahren, die seither vergangen sind, ward nichts Bessres erfunden. Atombombe, Gucchi-Parfüm, Noppenkondom, CNN-Nachrichten, Flüge zum Mars – all diese bunten Wunder rührten nicht an den Gewichten, die das Wesen der Welt in der Balance halten. Besinne Dich daher auf unsere Praktiken, und in ein, zwei Jahrhunderten wirst Du kein Überwerwesen mehr nötig haben. (Sollte ich dich mit meinen Tiraden erschöpft haben, sieh es mir nach – Du weißt, ich bin ernsthaft um Dein Wohl besorgt, indem ich diese Zeilen niederschreibe.)
    Nun zum Wichtigsten. Meine Geschäfte gehen hier in letzter Zeit nur noch mau. Früher hat ein pädophiler Geldsack in dem Glauben, gegen den Paragraphen zu verstoßen (Schulranzen, lauter Vieren im Heft – diese Masche) für mein Grundeinkommen gesorgt. Er war sentimental: wartete sehnsüchtig auf jedes Treffen, kriegte bei jeder Polizeisirene das Zittern. Widerwärtig, ich weiß. Aber so musste ich bloß einen Tag im Monat arbeiten. Doch dann

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