Das heilige Buch der Werwölfe
zu.
»Der Benzingestank ist grässlich. Er zerschleißt einem das Hirn. Außerdem riecht es nach Asphalt, Gummi, Tabakrauch … Klo, Menschenschweiß, Bier, Gebackenem, Kaffee, Popcorn, Staub, frischer Farbe, Fingernagellack, Pfannkuchen, Zeitungspapier … Ich könnte noch etliches mehr aufzählen.«
»Und diese Gerüche vermengen sich nicht?«
Er schüttelte den Kopf.
»Eher umhüllen sie einander, da steckt einer im anderen. Wie ein Brief im Kuvert, das in der Innentasche des Mantels steckt, der im Schrank hängt und so weiter. Das Grausame dabei ist, dass du eine Menge Dinge erfährst, die du bestimmt nicht wissen wolltest. Zum Beispiel kriegst du irgendein Papier zum Unterschreiben hingeschoben und riechst, da lag gestern ein Frühstücksbrot drauf, und die Wurst war nicht mehr frisch. Und damit nicht genug: Du riechst auch noch den Schweiß von der Hand, die dir das Papier hingeschoben hat, und dieser Geruch sagt dir, dass alles, was draufsteht, gelogen ist. Und so weiter.«
»Und warum ist das bei dir so?«
»Der normale Geruchssinn eines Wolfes. Er bleibt bei mir nur leider oft in den Phasen bestehen, wo ich Mensch bin. Das ist hart. Hilft allerdings auch gegen viele schlechte Angewohnheiten.«
»Was zum Beispiel?«
»Zum Beispiel kommt Kiffen für mich nicht in Frage. Koksen erst recht nicht.«
»Wieso nicht?«
»Weil ich schon nach der ersten Line weiß, wie viel Stunden es der Kurier im Arsch stecken hatte, bis er es von Colombo nach Baku geschafft hat. Und nicht nur das, ich kann dir sogar sagen, wer ihn wie oft dort reinge-…«
»Schon klar«, unterbrach ich ihn, »du musst das nicht ausführen, ich hab verstanden.«
»Und vor allem weißt du nie, wann es dich überkommt. Es ist unvorhersehbar, wie Migräne.«
»Du Ärmster!«, seufzte ich. »Das ist ja ein Kreuz!«
»Na ja«, sagte er, »so muss man es auch wieder nicht nennen. Manches daran gefällt mir sogar. Zum Beispiel gefällt mir, wie du riechst.«
Ich wurde verlegen. Der Leib eines Werfuchses dünstet tatsächlich ein schwaches Aroma aus; Menschen halten es in der Kegel für ein Parfüm.
»Wonach rieche ich denn?«
»Schwer zu sagen … Nach Gebirge, Mondlicht … Frühling. Blumen. Hinterlist. Schalk, meine ich. Ohne Bosheit. Dein Geruch gefällt mir wahnsinnig gut. Ich glaube, ich könnte ihn mein Leben lang riechen und immer etwas Neues darin finden.«
»Na, da bin ich aber froh«, sagte ich. »Das fand ich peinlich, als du von meiner Bluse zu reden anfingst. Nie wieder kaufe ich was im Secondhandshop.«
»Kein Problem«, sagte er. »Aber ich wäre dir sehr verbunden, wenn du sie auszögest …«
»Ist der Geruch so stark?«
»Nein, nein. Ganz schwach nur. Ohne Bluse gefällst du mir einfach noch besser.«
Nach einem Moment des Überlegens zog ich die Bluse über den Kopf.
»Heute ohne Büstenhalter«, lachte er.
»Ja. Ich hab gelesen, wenn eine junge Frau zu ihrem jungen Mann geht, mit dem sie gerne möchte … Also ich meine, wenn sie möchte, dass es passiert, dann zieht sie keinen an. So als eine Art Etikette.«
»Wo hast du das denn gelesen?«
»Im Cosmopolitan. Hör mal, ich will dich schon die ganze Zeit was fragen. Findest du nicht, dass meine Brust zu klein ist?«
»Nein. Mir gefällt deine Brust sehr gut«, sagte er. »Man möchte sie wieder und wieder küssen.«
Mir schien, dass Sprechen bereitete ihm Mühe, so als müsste er ein Gähnen unterdrücken. Das übliche Anzeichen der einsetzenden Transformation. Seine Verheißung, das »wieder und wieder« betreffend, klang gut, doch dazu kam es nur selten. Seine heiße Wolfszunge übrigens … Aber nein, ich möchte die Grenzen der Schicklichkeit nicht überschreiten, der Leser wird es sich selbst ausmalen können.
Er hatte mich noch nicht vom Höschen befreit, da war es schon wieder geschehen: Die sexuelle Erregung setzte den geheimnisvollen Mechanismus seiner Metamorphose in Gang. Es brauchte weniger als eine Minute, bis er zum Tier geworden war, schrecklich und schön anzusehen, wobei sein Liebesinstrument das Allerbeeindruckendste war. Jedes Mal wieder mochte ich nicht glauben, dass dieser Hexenhammer in mein Als-ob-Säckchen ganz hineingehen sollte.
Mit seiner Verwandlung zum Wolf verlor Alexander die Fähigkeit zu sprechen. Doch er verstand, was er hörte – wiewohl ich mir natürlich nicht sicher sein durfte, dass ein Wolf es genauso auffasste wie ein Mensch. Die verbliebenen Fähigkeiten zur Kommunikation reichten zur Wiedergabe komplexer
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