Das heilige Buch der Werwölfe
Gemütsregungen nicht aus, Ja-Nein-Antworten waren jedoch möglich. Ein dumpfes kurzes Knurren – R-r-r! – das hieß: ja. U-u-uh! – ein Laut zwischen Heulen und Gähnen – bedeutete: nein. Letzteres fand ich ein bisschen zum Lachen, so winselt ein Hund in der Mittagshitze, den das Herrchen auf den BaIkon gesperrt hat. Doch ich behielt diese Beobachtung für mich.
Seine Hände erinnerten weniger an Wolfspfoten als an die phantastischen Extremitäten irgendeines Marsianers im Film. Dass diese Klauen zu zärtlicher Berührung fähig sein sollten, erschien mir unvorstellbar, obwohl ich es aus Erfahrung besser wusste.
Deshalb wurde mir, als er sie mir auf den Bauch legte, wie immer ein bisschen mulmig.
»Wie hättest du es denn gern, Grauer?«, fragte ich. »Dass ich mich auf die Seite lege?«
»U-u-uh!«
»Auf den Bauch?«
»U-u-uh!«
»Soll ich auf die Knie gehen?«
»R-r-rrr!«
»Gut, aber sei vorsichtig, ja?«
»R-r-rrrrrr! …«
Ich war mir nicht ganz sicher, ob das letzte R-r-r noch ein Ja war oder nicht einfach bloß ein R-r-r, trotzdem kam ich seiner Bitte nach. Und bereute es sogleich: Er packte mich mit der Pfote am Schweif.
»He! Loslassen, Isegrim! Hörst du?«
»U-u-uh!«
»Lass bitte los, das meine ich ernst!«, bettelte ich.
»U-u-uh!«
Und es geschah, was ich am allermeisten fürchtete: Er zog mich am Schweif. Nicht gerade sehr, aber doch so spürbar, dass sofort der Sikh aus dem National vor mein geistiges Auge trat. Und als er noch ein bisschen heftiger zog, schämte ich mich so sehr für meinen Anteil am Schicksal dieses armen Mannes, dass ich zu schluchzen anfing.
Alexander hatte es nicht darauf abgesehen, mich am Schweif zu ziehen. Er hielt ihn nur, gar nicht mal unsanft. Doch die Stöße seiner Schenkel schlugen meinen Körper nach vorn, und der Effekt war derselbe, als versuchte er, mir den Schweif aus dem Rücken zu reißen. Ich spannte alle Muskeln an, es ging über meine Kräfte. Mit jedem Ruck wurde meine Seele von einer Woge unaussprechlicher Scham überflutet. Das Schrecklichste aber war, dass nicht nur diese Scham in meinem Herzen brannte, sie mischte sich mit der Lust, die mir bereitete, was da geschah.
Das war nun etwas Unvorstellbares – wahrlich jenseits von Gut und Böse. Erst jetzt konnte ich nachvollziehen, in was für verheerenden Abgründen einst der Marquis de Sade herumgestolpert sein mochte, der mir bis dahin immer nur albern und aufgeblasen vorgekommen war. Nein, der war durchaus nicht so abgedreht – er hatte nur nicht die rechten Worte gefunden, seinen Alptraum zu beschreiben. Und ich wusste auch, warum – solche Worte gab es in der Menschensprache gar nicht.
»Hör auf!«, flüsterte ich unter Tränen.
»U-u-uh!«
Und dabei wusste ich tief im Inneren tatsächlich nicht, was ich wollte: dass er aufhörte oder dass er weitermachte.
»Lass es sein«, wiederholte ich keuchend. »Bitte!«
»U-u-uh!«
»Willst du mich umbringen?«
»R-r-rrr!«
Ich konnte nicht länger an mich halten und heulte los. Doch es waren Tränen der Wonne – peinlich, ungeheuerlich und doch so hinreißend, dass an ein freiwilliges Ende nicht zu denken war. Kurz darauf verlor ich die Kontrolle über das, was da vor sich ging – wenn nicht sogar das Bewusstsein. Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass Alexander – wieder in menschlicher Gestalt – sich über mich beugte. Er wirkte hilflos.
»Hab ich dir wehgetan?«
Ich nickte.
»Verzeih …«
»Du musst mir eins versprechen«, flüsterte ich. »Versprich mir, dass du mich nie mehr am Schwanz ziehen wirst. Niemals wieder, hörst du?«
»Mein Offiziersehrenwort!«, sagte er und legte die Hand an die Ordensleiste. »Ist es dir nicht gut bekommen?«
»Ich habe mich geschämt«, flüsterte ich. »Ich habe im Leben viel verzapft, woran ich nicht gern erinnert werde, weißt du. Ich habe den Menschen übel mitgespielt…«
Sein Gesicht wurde plötzlich sehr ernst.
»Hör auf!«, sagte er. »Ich bitte dich, das muss nicht sein. Nicht jetzt.«
Wir Werfüchse machen gern Jagd auf englische Aristokraten und auf Hühner. Auf englische Aristokraten machen wir deshalb Jagd, weil englische Aristokraten Jagd auf uns machen, das ist gewissermaßen eine Sache der Ehre. Hühnerjagd hingegen ist etwas fürs Herz. Jede der beiden Spielarten hat ihre glühenden Verfechter, die ihre Vorliebe auf Biegen und Brechen verteidigen. Aus meiner Sicht hat die Hühnerjagd einige gewichtige Vorzüge:
1. sorgt die Jagd auf
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