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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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gesehen haben; schließlich bringen sie andere dazu, einen Gegenstand wahrzunehmen, den es überhaupt gar nicht gibt, und immer so weiter. Es ist eine komplizierte Technik, sie sich anzueignen, braucht es Jahrhunderte. Doch wenn einmal zehn, zwanzig Werfüchse zusammenkommen, die sie beherrschen … Man kann sich vorstellen, wozu sie fähig sind.
    Wenn dem so ist, könnte einer einwenden, wieso regieren die Werfüchse dann nicht längst die Welt? Das hat zweierlei Gründe:
     
    1. sind Werfüchse nicht so blöd, diese Bürde auf sich zu nehmen.
    2. sind Werfüchse sehr egoistisch und darum unfähig, längerfristige Vereinbarungen mit anderen zu treffen, die über die kollektive Jagd auf englische Aristokraten hinausgehen.
     
    Da die Menschen heutzutage über viele moderne Mittel zur Beobachtung und Überwachung verfügen, hängen sich die Werfüchse in die Menschheitsgeschichte lieber nicht mehr hinein, sondern lösen das Problem auf einfachere Art. Im Norden Englands gibt es eine Anzahl Privatschlösser, wo Aristokraten von besten Erzeugern gezüchtet und speziell für die Werfuchsjagd aufgezogen werden – die Ausbeute ist gering, die Qualität dafür hervorragend. Ähnliche Zuchtanstalten gibt es in Argentinien und Paraguay, doch sind die Bedingungen dort lausig; die in Massenproduktion, per künstlicher Besamung erzeugten englischen Aristokraten (klontechnische Versuche blieben bislang erfolglos) taugen allenfalls zur Hubschraubersafari: Sie reden wie Gauchos, saufen eimerweise Tequila, scheitern auch im dritten Versuch, ihren Stammbaum aufzuzeichnen, und wollen, dass man ihnen vor dem Tod die Che-Guevara-Hymne Un Hombre singt. Anscheinend möchten sie sich wenigstens für ein paar Minuten als Portfolio-Manager fühlen.
    Es gibt eine andere Schule der Jagd. Hier ist der englische Aristokrat handverlesen, und der letzte Parcours, über den wir ihn treiben, kann sich über Jahre hinziehen: Der Werfuchs wird seine Geliebte oder Gemahlin und befindet sich bis zum bitteren Moment der Wahrheit an seiner Seite – der dann umso grausamer ist. Irgendwann während eines Gewitters oder in einem vergleichbar dramatischen Augenblick eröffnet sie ihm, wie es um ihn steht, und holt ihren Schweif hervor – nicht, um ihm die allfällige Dosis Eheglück zu verabreichen, sondern für den letzten, den tödlichen Schlag … Dies ist die schwierigste Form der Jagd, die ein virtuoses Sozialempfinden voraussetzt. Hier kann niemand unserer Schwester I Huli das Wasser reichen, die schon seit Ewigkeiten in England lebt und es in diesem Sport zu wahrer Meisterschaft gebracht hat.
    Der größte Vorzug der Hühnerjagd besteht in der supraphysikalischen Transformation, die wir dabei vollziehen. Das Huhn muss als lebender Katalysator assistieren: Die Jahrtausende Leben in Kultur haben uns Werfüchse dieser Gabe fast gänzlich beraubt, wie Dante brauchen wir beim Trip in die Unterwelt einen, der vorausgeht. Die Transformation gelingt nicht immer und nie für längere Zeit, doch der Kick dabei ist so gewaltig, dass man noch viele Tage von der Erinnerung zehrt.
    Etwas Vergleichbares widerfährt uns manchmal auch bei heftigem Erschrecken, doch das lässt sich nicht kontrollieren. Die Kunst der Hühnerjagd besteht aber gerade darin, die eigene Angst zu dosieren und in Schach zu halten. Man muss die Verfolger nahe genug heranlassen, damit die Mechanismen der inneren Alchimie anspringen, die für Sekunden ein Raubtier aus dir machen, das Gut und Böse nicht kennt. Natürlich muss man, um Gut und Böse nicht gänzlich außer Kraft zu setzen, einen Sicherheitsabstand wahren. All dies zusammen ist beinahe wie Windsurfen, nur dass man für den Verlust der Balance hier einen ungleich höheren Preis zu zahlen hat. Dafür sind aber auch die positiven Emotionen weitaus stärker – es gibt nichts Herzerfrischenderes als Hatz und Risiko.
    Manchmal kommt es vor, dass sich mir Hunde an die Fersen hängen, doch sie lassen ab von mir, sobald sie merken, wer ich bin. Hunde lassen sich ebenso leicht etwas vormachen wie Menschen. Außerdem haben sie ein besonderes Nachrichtennetzwerk, eine Art Geruchsinternet, könnte man sagen: Gibt es etwas Neues, sind die anderen beinahe sofort im Bilde. Seit jenem Tag, als ein mutiger Rottweiler, der mit mir hatte spielen wollen, von zwei kaukasischen Brüdern (pardon, Schäferhunde sind gemeint) vergewaltigt wurde, machten die Hunde im Wald von Bitza einen Bogen um mich. Sie sind kluge Tiere und können die Zusammenhänge

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