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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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attraktiver. Hier haben wir es mit einem Klassiker zu tun, dem sogenannten Werwolf. Es entsteht kein einfacher Wolf. Es ist die Übertreibung eines Wolfes, wenn man so sagen darf. Übermannsgroß, unerhört kräftig, mit einem weiten, gezahnten Rachen, geht wie ein Mensch auf zwei Beinen, kann aber bei Bedarf auch auf allen vieren sprinten. In der Folklore findet sich sein recht genaues Abbild, immerhin war es das am weitesten verbreitete Werwesen in Europa. Auf ein interessantes Detail möchte ich besonders hinweisen: Es heißt, die Transformation zum Werwolf geschehe nur in einer ganz bestimmten Mondphase und bei Einbruch der Dämmerung. Und ihr Ende findet die Wolfsphase den landläufigen Vorstellungen zufolge im Morgengrauen, da dieses Teufelspack angeblich kein Sonnenlicht verträgt. In Wirklichkeit spielen Licht und Dunkel hierbei keine Rolle. Dafür trifft eine andere Beobachtung zu: Die Transformation zum Werwolf erfolgt immer nur kurzzeitig, denn das Infrachakra No. II verfügt über ein instabiles Gleichgewicht, in dem die Kundalini nie lange verbleibt …«
    »Stabiles Gleichgewicht, instabiles Gleichgewicht – was bedeutet das eigentlich?«, fragte I Huli, Lord Cricket beugte sich über sein Notebook.
    »Moment«, sagte er, »auch dafür habe ich irgendwo ein Schaubild …«
    Auf der Leinwand erschien ein Bild von Stonehenge, dann das in Grüntönen gehaltene Werbefoto eines Wohnwagens, in dessen Fenster dilettantisch, doch liebevoll eine Vase mit Narzissen einmontiert war. Schließlich eine sinusförmige schwarze Linie.
    »Da haben wir es!«, sagte Lord Cricket. »Entschuldigen Sie das Durcheinander.«
    Im Tal der Sinuskurve lag eine blaue Kugel, auf dem Scheitel eine rote. Von den Kugeln gingen kurze Pfeile in gleicher Farbe aus, sie sollten Bewegung symbolisieren.
    »Das ist ganz einfach«, sagte der Lord. »Beide Kugeln befinden sich im Gleichgewicht. Doch wenn Sie die blaue Kugel anstoßen, wird sie an den Punkt zurückkehren, an dem sie sich zuvor befand. Das nennt man ein stabiles Gleichgewicht. Verschieben Sie aber die rote, so wird sie an den jetzigen Punkt nicht zurückkehren, sondern einfach runterrollen. Das ist ein instabiles Gleichgewicht.«
    »Ich hätte auch eine Frage«, sagte Alexander. »Darf ich?«
    »Bitte!«
    »Warum ist die eine Kugel blau, die andere rot?«
    »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Na ja. Genauso die Pfeile. Wieso ausgerechnet diese beiden Farben?«
    »Was spielt das für eine Rolle?«
    »Keine«, sagte Alexander, »aber interessant ist es doch. Vielleicht wissen Sie ja nicht, dass das Wort blau im Russischen für Homosexualität steht. Mich beschäftigt seit Ewigkeiten die Frage, wieso auf allen Generalstabskarten die Pfeile immer entweder rot oder blau sind. So als bestünde der Grundwiderspruch der Geschichte im Kampf zwischen Schwulen und Kommunisten. Ich dachte, Sie hätten vielleicht eine Erklärung dafür.«
    »Wieso ausgerechnet diese beiden Farben, kann ich Ihnen leider nicht sagen«, erwiderte der Lord höflich. »Darf ich fortfahren?«
    Alexander nickte. Auf der Leinwand erschien wieder der Schweif mit den schwarzen Infrachakren.
    »Wie ich schon sagte, ist die Position No. II, an der die Transformation zum Wolf erfolgt, instabil. Legte man die Sinuskurve über die Zeichnung, so würden Sie sehen, dass die benachbarten Positionen No. I und III stabil sein müssen. No. I ist die Fuchsposition, über sie sprachen wir schon. Nun werden Sie sich wahrscheinlich fragen, was es mit Position No. III auf sich hat?«
    »Ja, wirklich, Brian,«, sagte I Huli, »was ist das für eine Position? Sag es uns!«
    »Ich erwähnte bereits, dass die Infrachakren bei einem Werwesen symmetrisch zu den drei unteren Chakren des Menschen liegen. Das letzte Infrachakra, das sich ganz am Schweifende befindet, ist ein Spiegelbild des Manipura, welches zwischen Nabel und Herz liegt. An dieser Stelle ist der Mittelkanal unterbrochen. Die Kundalini kann nicht auf die oberen Chakren überspringen, wenn die Zone rund um das Manipura, der sogenannte Ozean der Illusionen, nicht mit den Energien eines wahrhaftigen spirituellen Lehrers gefüllt ist. Dasselbe gilt, nach dem Prinzip des Hermes Trismegistos, für die Infrachakren eines Werwesens. Um die Kundalini an ihre unterste Grenze zu führen, braucht es eine Invokation der Finsternis, den spirituellen Beistand eines übergeordneten Dämonen, der mit seinen Vibrationen die sogenannte Wüste der Wahrheit ausfüllt – die Lücke in der

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