Das heilige Buch der Werwölfe
nur noch, an irgendwelche schändlichen Wölfe Erdöl zu verteilen, damit Kukis-Jukis-Juxi-Pux ihrem Lawyer was abdrücken, der Lawyer dem Chef vom Wachschutz was abzweigt, der Chef vom Wachschutz dem Friseur was rüber schiebt, der Friseur dem Koch, der Koch dem Chauffeur, und der Chauffeur bestellt sich deine Chawroschetschka für hundertfünfzig Dollar die Stunde ins Haus … Und erst wenn sich deine Chawroschetschka nach dem Stress beim Analsex richtig ausgeschlafen und alle ihre Bullen und sonstigen Banditen ausbezahlt hat, erst dann reicht es vielleicht auch noch für einen Apfel – der du für sie so gerne gewesen wärest, bunte Kuh …«
Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass die Kuh mich aus ihren leeren Augenhöhlen anschaute. Und dann sah ich es durch mein Fernglas: wie am unteren Rand einer dieser Höhlen eine Träne erschien, anschwoll, den Schädel hinabrann und in den Schnee tropfte. Es folgte eine zweite, eine dritte …
Alexander heulte immer noch, doch den Sinn bekam ich nicht mehr mit. Vielleicht gab es auch keinen mehr – das Geheul war zum Katzenjammer geworden. Alexander weinte. Ich weinte auch. Alle weinten wir … Doch bald merkte ich, Klage und Hingebung flossen zusammen, Michalytsch, der Offizier, der die Stange auf dem Hügel installiert hatte, die Leute im Dunkel hinter den Fahrzeugen – alle heulten sie, Nase zum Mond gereckt, heulten um sich, ihr unvergleichliches Land, dieses jämmerliche Leben, den dummen Tod und die ersehnten hundert Dollar pro Barrel …
»He!«, hörte ich jemanden sagen. »Komm zu dir!«
»Was?«
Ich schlug die Augen auf. Alexander und der Offizier standen neben meinem Stuhl. In einiger Entfernung fröstelte Michalytsch.
»Es hat geklappt«, sagte der Offizier. »Das Öl läuft wieder.«
»Wunderbar, wie du geheult hast!«, sagte Alexander. »Wir waren ganz hin und weg.«
»Stimmt. Das Mädel kann was!«, lobte Michalytsch. »Ich hab mich erst gefragt, wozu Sie sie mitgenommen haben, Genosse Generalleutnant …«
Alexander sagte nichts darauf. Einer der Männer, die hinter den Autos gewartet hatten, kam herüber. Auch er trug eine Uniform ohne Rangabzeichen.
»Das ist für Sie«, sagte er und überreichte Alexander ein Schächtelchen. »Die Vaterländische Verdienstmedaille. Davon haben Sie schon etliche, ich weiß. Aber Sie sollen wissen, dass Ihr Vaterland große Stücke auf Sie hält.«
»Danke. Diene der Heimat«, sagte Alexander nicht sehr gerührt und schob die Schachtel in die Hosentasche.
Er nahm mich beim Arm und führte mich zum Auto.
»Jetzt sag mal ehrlich, von Wolf zu Fuchs. Oder meinetwegen von Werwolf zu Werfuchs«, raunte ich, als wir weit genug von den anderen weg waren. »Glaubst du wirklich, dass Chawroschetschka wegen Kukis-Jukis an keinen Apfel gekommen ist? Liegt es nicht eher an dem stinkenden Fischkopf, der sich mal als Bock ausgibt und mal als Bär?«
Alexander schien verdattert.
»Kukis-was? Fischkopf? Worum geht es?«
Erst jetzt merkte ich, was für ein schräges Zeug ich quasselte. Das war der Stress: Ich übersah schon den Unterschied zwischen der Welt und dem, was ich über sie dachte. Alexander hatte ja nicht gesprochen – er hatte einen Kuhschädel angeheult. Der Rest war meine Interpretation.
»Jetzt will sie mir noch einen Bären aufbinden!«, murmelte er.
Fürwahr, ich musste bescheuert sein. Über den Bären und den Fischkopf hatte ich bislang kein Wort mit ihm geredet.
»Das hat mit den Märchen zu tun«, sagte ich reumütig. »Die ich im Flugzeug gelesen habe.«
»Ach so. Alles klar.«
Eine Frage konnte ich trotzdem stellen, die nicht zu blöd klang in dieser Situation. Nur wägte ich die Wirkung meiner Worte diesmal genauer ab, bevor ich den Mund aufmachte.
»Weißt du, was ich für ein Gefühl hatte? Mir war, als hättest du mich dem Schädel als Chawroschetschka präsentiert. Kann das sein?«
Er lächelte.
»Warum auch nicht. Du bist so herzergreifend.«
»Aber sieh mich doch mal richtig an. Was bin ich für eine Chawroschetschka?«
»Und wenn du Maria Magdalena wärest!«, erwiderte er. »Was tut das zur Sache? Ich bin Pragmatiker. Mein Job ist es, Erdöl zu zapfen. Und dafür muss ich den Schädel zum Weinen bringen. Was soll man machen, wenn er bei Michalytsch nicht mehr weinen will? Nicht mal, wenn der Kollege sich fünf Kubik Ketamin drückt?«
»Aber … Es war doch geschwindelt«, sagte ich konsterniert.
Er räusperte sich.
»Na und? Findest du, dass die Kunst immer die
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