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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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einem Werfuchs besteht darin, dass beide etwas vorzuspiegeln bemüht sind, was der Mensch ihnen als Realität abkaufen soll.
    4. Der Unterschied ist, dass den Werfüchsen dieses gelingt, den Online-Kolumnisten nicht.
     
    Letzteres erstaunt nicht. Käme denn einer, der glaubhafte Phantome herzustellen in der Lage ist, auf die Idee, als Online-Kolumnist zu arbeiten? Äußerst unwahrscheinlich. Ein Online-Kolumnist schafft es nicht einmal selber, an seine Enten zu glauben, dachte ich mit geballten Fäusten, von den anderen ganz zu schweigen. Darum muss er still in seiner Hundehütte sitzen und darf nur dann kläffen, wenn …
    Moment.
    Schlagartig waren Online-Kolumnisten und Lagerwachhunde in Vergessenheit geraten – wie aus dem Kopf gepustet. Denn dort war die Sonne der Erkenntnis aufgegangen.
    Selbst daran glauben, ja klar, das ist es!, dachte ich. Das ist der Unterschied!
    Ganz unversehens hatte ich die Lösung eines Rätsels gefunden, das mich seit geraumer Zeit quälte. Viele Tage hatte mein Geist sich ihm auf immer neuen Umwegen zu nähern versucht – erfolglos. Auf einmal ruckelte sich dort etwas zurecht, es machte klick!, und alles passte zusammen: als hätte ich versehentlich ein Kreuzworträtsel gelöst.
    Ich hatte begriffen, was uns Werfüchse von den Werwölfen unterscheidet. Dieser Unterschied ist, wie so oft, nichts weiter als eine mutierte Gemeinsamkeit, Füchse und Wölfe sind nahe Verwandte. Beider Magie basiert auf manipulierter Wahrnehmung. Doch die Formen der Manipulation sind verschieden.
    An dieser Stelle ist ein kurzer theoretischer Exkurs vonnöten, andernfalls blieben meine Ausführungen unverständlich, fürchte ich.
    Die Menschen streiten des Öfteren darüber, ob diese Welt tatsächlich existiert. Oder womöglich nur so ein Matrix -Ding ist. Ein dummer Streit! Auseinandersetzungen wie diese rühren daher, dass die Leute die Wörter, die sie benutzen, nicht verstehen. Bevor man dieses Thema diskutiert, sollte man zum Beispiel bedenken, was das Wort »existieren« überhaupt bedeutet. Da käme viel Interessantes zum Vorschein. Aber Menschen sind nun mal selten zu richtigem Denken befähigt.
    Womit ich nicht sagen will, dass alle Menschen komplette Idioten sind. Es gibt durchaus welche unter ihnen, deren Intellekt sich mit dem eines Werfuchses messen lässt. Nehmen wir den irischen Philosophen Berkeley. Der gesagt hat: Existieren heißt wahrgenommen werden. Dass die Dinge also lediglich in der Wahrnehmung existieren. Man muss sich nur einmal drei Minuten Zeit nehmen, das Thema in Ruhe zu durchdenken – und alle abweichenden Ansichten zu dieser Frage wandern von ganz allein in die Kiste mit Osiris-Kult und Mithra-Glauben.
    Mich dünkt es ist überhaupt der einzige vernünftige Gedanke, der das abendländische Denken in seiner traurigen Geschichte heimgesucht hat; all die Humes, Kants und Baudrillards sticken in die Leinwand dieser großen Weisheit nur noch ihre kleinkarierten Muster.
    Wo aber bleibt ein Gegenstand, wenn wir uns von ihm abwenden und ihn also nicht mehr sehen? Er wird doch deswegen nicht verschwinden, wie Kinder und die Indianer am Amazonas glauben? Berkeley sagt, er existiere während dieser Zeit in der Wahrnehmung Gottes. Katharer und Gnostiker wiederum sind der Meinung, er existiere in der Wahrnehmung eines satanischen Demiurgen – und ihre Argumente sind durchaus nicht schwächer als die von Berkeley. Ihrer Ansicht nach ist die Materie das Böse, das den Geist hemmt. (Beim Lesen der Gruselbücher von Stephen Hawking kam mir manchmal der Gedanke, dass die Albigenser, wären sie im Besitz von Radioteleskopen gewesen, den Big Bang für einen Big Snap vom Aufstand des Satans gehalten hätten.) Es gibt in diesem geistigen Marasmus übrigens auch einen Mittelweg: zu glauben, ein Teil der Welt könnte in der Wahrnehmung Gottes existieren und ein anderer in der Wahrnehmung des Teufels.
    Was lässt sich hierzu sagen? Wir Werfüchse sind der Ansicht, dass es nie einen Urknall gegeben hat, genauso wenig wie den von Breughel gemalten Turm zu Babel – dass eine Reproduktion dieses Bildes in dem Zimmer an der Wand hängt, von dem Sie gerade träumen, ändert an der Tatsache nichts. Gott und Teufel wiederum sind Begriffe, die in den Köpfen derer existieren, die an sie glauben. Ein Vöglein, wenn es singt, preist mitnichten den Herrn. (Das hätte jeder kleine Pope gern, dass er mit diesem Lied gemeint ist!) Berkeley behauptet, die Wahrnehmung bräuchte unbedingt ein Subjekt. Darum

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