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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Wahrheit sagen muss?«
    Statt einer Antwort zwinkerte ich ein paarmal. Das Komische war, dass ich tatsächlich so dachte. Und plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, wer von uns beiden der zynischere Manipulator fremden Bewusstseins war.
    »Das kannst du meinetwegen der Saatchi Gallery als Kunstkonzept verkaufen«, meinte er. »Vielleicht stellen sie es aus neben ihrem marinierten Haifisch. Oder Brian kauft es dir ab. Der mit seinen Tausend-Pfund-Offerten.«
     
    Brian konnte leider gar nichts mehr kaufen … Diese geläufige Art, über einen Toten zu reden, hat sich inzwischen übrigens weitgehend überholt. Es kommt vor, dass ein Kunde stirbt, und seine Broker an der Börse sind weiter fleißig am Zappeln. Und hat die betrübliche Nachricht sie endlich erreicht, spekuliert ein von allen vergessnes Programm noch lange im Cyberspace herum, kauft und verkauft bei Erreichen der Schwellenwerte fröhlich weiter seine Pfunds und Yens … Bei mir gab es für Brian aber wohl tatsächlich nichts mehr zu kaufen. Am allerwenigsten den Gedanken, dass Kunst die Wahrheit sagen muss.
    Moskau hatte mich mit der traurigen Neuigkeit empfangen. Die Notiz auf der Site nachrichten.ru , deren Adresse sich auf mystische Weise schon wieder ins Startmenü eingeschrieben hatte, war so übertitelt:
     
    ENGLISCHER ARISTOKRAT IN DER CHRISTUS-ERLÖSER-KATHEDRALE TOT AUFGEFUNDEN!
     
    Ein Gefühl, das sich wie Übelkeit ausnahm, verhinderte, dass ich die Notiz von Anfang bis Ende durchlas – sie diagonal zu überfliegen genügte, um den journalistischen Gemeinplätzen (gefrorene Grimasse unsäglichen Entsetzens, untröstliche Witwe tränenüberströmt, Vertreter der Botschaft, Aufklärung der näheren Umstände) ein paar Fakten abzuringen. Um I Huli machte ich mir keine Gedanken, der Vorgang war für sie reine Routine. Sorgen musste man sich um die Aufklärer der näheren Umstände: dass diese Grimasse unsäglichen Entsetzens nicht auch auf dem Gesicht eines von ihnen festfror.
    Lord Cricket hingegen hatte Mitgefühl verdient. Ich gab mir auch alle Mühe, es gelang mir jedoch nicht, mich auf sein Gesicht zu konzentrieren, stattdessen liefen dokumentarische Fuchsjagdbilder vor meinem inneren Auge ab: ein über das Feld flitzendes kleines rotes Knäuel, schutzlos, verzweifelt und doch voller Hoffnung, dazu die berittene Schar der Verfolger in eleganten Capes … Ein Totenmantra sprach ich trotzdem für ihn.
    Dann wurde meine Aufmerksamkeit von einer Kolumnenschlagzeile angezogen:
     
    KRANKER RÄUBER SUCHT ZUFLUCHT IM BITZA-PARK
     
    Ein Absatz in diesem Pamphlet war besonders unverschämt:
     
    Der Fuchs, von vielen kahlen Stellen gezeichnet (besser gesagt: an einigen Stellen war noch Fell vorhanden), erregte bei Augenzeugen heftiges Mitleid und nährte darüber hinaus den Verdacht, es könnte in der Nähe eine radioaktive Müllkippe geben. Vielleicht suchte das kranke alte Tier die Nähe des Menschen in der Hoffnung auf einen Coup de Grâce, der seinen Leiden ein Ende gesetzt hätte. Doch von den hartherzig gewordenen Moskauern ist selbst solch ein Service unentgeltlich nicht mehr zu haben. Welchen Ausgang die Jagd nahm, die zwei berittene Polizisten auf das arme kranke Tier machten, ist nicht bekannt.
    Was für ein elender Lügner! Und dabei kann sich jeder denken, dass kein Augenzeuge von einer radioaktiven Müllkippe geredet hat. Alles aus den Fingern gesogen, um irgendwie diese Kolumne zu füllen … Online-Kolumnisten schreiben, nebenbei gesagt, über alle Themen gleichermaßen abgefuckt: Politik, Kultur, sogar Marsforschung, ganz egal. Nun also Füchse. Dieser Typ hier auf nachrichten.ru hatte noch dazu seinen ganz persönlichen Flitz: Immer wenn er jemanden richtig fertig machen wollte, kam bei ihm »heftiges Mitleid« vor. Das frappierte mich jedes Mal: wie man das hehrste aller menschenmöglichen Gefühle, das Mit gefühl, in solch einen Giftstachel verwandeln kann … Schon wie das klang: Mitleid? Aber heftig!
    Eigentlich musste man sich darüber jedoch nicht wundern. Denn was ist ein Online-Kolumnist? Eine arme Sau. Vielleicht etwas mehr als ein Lagerwachhund. Aber weit, weit weniger als ein Werfuchs.
     
    1. Die Ähnlichkeit von Online-Kolumnist und Lagerwachhund besteht in der Fähigkeit, einen genau markierten Sektor zu verbellen.
    2. Der Unterschied liegt darin, dass ein Lagerwachhund gar nicht wissen kann, wen oder was er verbellt, der Online-Kolumnist könnte es wissen.
    3. Die Ähnlichkeit eines Online-Kolumnisten mit

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