Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
haben die unter den Schrank gerollte Münze und der hinter das Bett gerutschte Strumpf ein Begräbnis erster Klasse im Schädel des eigens zu diesem Zweck erschaffenen Schöpfers bekommen. Was aber nun, wenn der Berkeleysche Gott, in dessen Wahrnehmung wir existieren, selbst vorrangig nur im abstrakten Denken einiger Vertreter der europäiden Rasse mit einem Jahreseinkommen von fünfzigtausend Euro existiert? Während er im Bewusstsein des chinesischen Reisbauern überhaupt nicht vorkommt, und auch das Vöglein weiß nichts, weiß nicht einmal, dass es Gottes Vöglein ist? Was wird aus ihm, wenn existieren wirklich nur wahrgenommen werden bedeutet?
    Vergiss es!, sagen die Werfüchse. Auf die fundamentale Frage der Philosophie haben wir eine fundamentale Antwort. Sie besteht darin, diese fundamentale Frage in den Wind zu schreiben. Sowieso gibt es keine philosophischen Probleme, es gibt nur endlos viele aneinandergereihte linguistische Sackgassen, die dadurch entstehen, dass Sprache grundsätzlich ungeeignet ist, die Wahrheit widerzuspiegeln.
    Aber immer noch besser, gleich im ersten Absatz auf solch eine Sackgasse zu stoßen als nach vierzig Jahren Forschung und fünftausend beschriebenen Seiten. Als Berkeley gegen Ende begriff, was Sache war, schrieb er nur noch über die wundersamen Wirkungen des Teerwassers, mit dem er in Nordamerika Bekanntschaft gemacht hatte. Deswegen amüsieren sich manche Philister noch heute über ihn – nicht wissend, dass man den Teer in Amerika damals aus einer Pflanze gewann, die sich Jimson Weed beziehungsweise Datura nannte, wir sagen Stechapfel dazu – ein Rauschmittel erster Güte.
    Und weil wir gerade bei diesem Thema sind: Religiöse Eiferer bezichtigen uns Werwölfe, wir vernebelten den Menschen die Hirne und verzerrten das Bild Gottes. Die so reden, haben wohl keine sonderlich klare Vorstellung vom Bild Gottes, weil sie es aus ihren eigenen Schnepfenvisagen zusammenbosseln. Vernebeln und verzerren sind jedenfalls tendenziöse Begriffe, die die Frage auf eine emotionale Ebene verschieben und ungeeignet sind, zum Kern der Sache vorzudringen. Und dieser Kern ist folgender (nachfolgendem Absatz bitte ich mit Aufmerksamkeit zu begegnen – ich komme endlich zum Punkt):
     
    Insofern die Existenz der Dinge an ihrer Wahrnehmbarkeit hängt, kann jedwede Transformation auf zwei Wegen erfolgen: entweder als Wahrnehmung der Transformation oder als Transformation der Wahrnehmung.
     
    Dem großen Iren zu Ehren würde ich diese Regel am liebsten das Berkeley-Gesetz nennen. Wahrheitssucher, Inquisitoren, Marketingexperten und Pädophile, die es vorziehen, in Freiheit zu leben, sollten sie kennen und beherzigen.
    Werfüchse und Werwölfe nutzen nun also in ihrer Praxis jeweils eine der beiden Optionen des Berkeley-Gesetzes für sich aus.
    Werfüchse wenden die Transformation der Wahrnehmung an. Wir beeinflussen diese bei unseren Kunden, lassen sie das sehen, was uns beliebt. Die ihnen vorgespiegelten Phantome werden von ihnen als Wirklichkeit erlebt – dafür sind die Schrammen auf dem Rücken des unvergessenen Pawel Iwanowitsch der schlagende Beweis. Währenddessen sehen die Werfüchse die zugrunde liegende Realität weiterhin so, wie – Berkeley zufolge – Gott sie sieht. Wohl aus diesem Grund wirft man uns vor, das Gottesbild zu verzerren.
    Das ist natürlich eine philiströse Anschuldigung, die auf Scheinheiligkeit beruht. Nicht nur der Werfuchsmagie liegt eine Transformation der Wahrnehmung zugrunde, sie ist ein Grundbestandteil vieler Markttechnologien. Die Firma Ford beispielsweise schraubt an ihren Billigkleintransporter F-150 einen schicken Kühlergrill, biegt die Karosse ein wenig um und nennt das so entstandene Produkt Lincoln Navigator. Da sagt keiner, die Firma Ford verzerre das Gottesbild. Von der Politik ganz zu schweigen, da ist sowieso alles klar. Nur wir Werfüchse ecken seltsamerweise damit an.
    Werwölfe gehen den anderen Weg: Sie nutzen die Wahrnehmung der Transformation. Dabei erzeugen sie die Illusion nicht für andere, sondern für sich selbst. Und glauben so lange und so fest daran, bis die Illusion aufhört, Illusion zu sein. Mir scheint, in der Bibel findet sich der dazu passende Spruch: So ihr Glauben habt als ein Senfkorn … Die Wölfe haben ihn. Ihre Verwandlung ist eine Art alchimistische Kettenreaktion.
    Zunächst bildet der Werwolf sich ein, ihm wüchse ein Schweif. Wenn es dann tatsächlich passiert, so wirkt dieses Gerät (das den Wölfen ja genau wie

Weitere Kostenlose Bücher