Das Herz der 6. Armee
›Tennisschläger‹ oder den Getreidesilo rannten die deutschen Bataillone vergeblich dagegen an. Auch Vera Tscherkanowa hatte sich geweigert, Stalingrad zu verlassen. Sie stellte sich dem Sanitätsdienst zur Verfügung und verkroch sich mit den Tausenden anderen in das Wolgasteilufer, verband die Verwundeten, tröstete Sterbende, begrub die Toten, kochte und trug Verpflegung herum. Manchmal tat sie auch etwas, was niemand sah: Nachts, neben Großvater Abranow auf einem Strohsack liegend, faltete sie unter der Decke die Hände und betete leise für das Leben Iwan Iwanowitschs.
Das war etwas ganz Merkwürdiges mit dem Beten: sie glaubte nicht daran, denn auf der Komsomolzenschule hatte man gelehrt: Ob es Gott gibt, kann man nicht beweisen. Aber ein doppeltes Plansoll, das kann man beweisen. Und den Sozialismus kann man beweisen. Und die Freiheit aller Schaffenden kann man beweisen. Das war einleuchtend … aber als ihre Mutter starb, an einer Lungenembolie, hatte Großvater Abranow am Bett gesessen und gebetet, und die Mutter hatte gebetet, und danach war sie so still gestorben, so voller Frieden. Vera hatte daneben gestanden, verwundert und nachdenklich. Irgendwie gibt es Kraft, hatte sie gedacht. Man soll's nicht meinen.
Jetzt, wo es um das Leben Iwan Iwanowitschs ging, hatte sie es versucht, nachts, unter der Decke. Und wirklich, es gab einen inneren Halt, sie hatte jemanden, den sie bitten konnte, ohne sich zu schämen. »Gib mir Iwan Iwanowitsch zurück!« hatte sie gesagt. »Beschütze ihn. Laß ihn leben! Ich liebe ihn doch so. Laß ihn leben …«
Nun war es soweit: Kaljonin saß im Bunker des alten Abranow, und in einer Stunde sollte er mit Vera getraut werden. Der Standesbeamte des V. Bezirks war noch da, er hatte alle amtlichen Briefbogen, Stempel und die wichtigsten Papiere in zwei großen Blechkisten bei sich, residierte in einem aus Balken gefügten großen Bunker nahe an der Wolga und repräsentierte die kommunale Obrigkeit der Stadt. Die anderen Beamten lagen im Gebäude des Verteidigungskomitees der Partei und stemmten sich den Deutschen entgegen. Sogar Trauzeugen würden kommen. Oleg Simferowitsch Odnopoff, der Leutnant Kaljonins, und Shuri Andrejewitsch Fulkow, der Kommissar für Kriegspropaganda im Befehlsstand des Frontmilitärrates.
»Ich halte es für unnötig, Söhnchen«, sagte Abranow wieder. »Warum heiraten? Morgen schon kann Vera eine Witwe sein! Man sollte warten, bis Stalingrad wieder befreit ist. Oder müßt ihr?«
»Nein, Väterchen.« Iwan Iwanowitsch wurde rot. Wahrhaftig, das konnte er noch! »Aber wir lieben uns.«
Abranow seufzte. Sie lieben sich, dachte er. O ihr Seelchen! Oben hämmern die Deutschen die Stadt zu Pulver, und sie lieben sich wie zwei Täubchen im Frühling. Man könnte philosophisch werden und sagen: Das ist die Kraft des Lebens. Aber was hilft's? Aus der Tiefe des Landes rollen dreihundertfünfzigtausend Deutsche gegen Stalingrad, eine graue Woge, die an die zerborstenen Mauern brandet. Immer und immer wieder, auch wenn die Woge rot wird von Blut. Und da wollen zwei kleine Menschlein heiraten, weil sie sich lieben! Abranow seufzte noch einmal und trank seinen Tee aus.
»Ich kann's nicht ändern«, sagte er. »Einem alten Mann hört man zu wie einem blökenden Schaf. Heiratet also …«
Am Abend gingen sie langsam den Hang hinunter zur Wolga. Über ihnen brannte wieder ein Stadtviertel. Es war erstaunlich, daß es immer noch Dinge gab, die brennen konnten. Die Wolgafähre, die Panzer übersetzte, lag unter dem Feuer deutscher Artillerie. Sie schwankte bedrohlich, und Abranow blieb stehen, schlug ein Kreuz und sagte laut: »Gott schütze unsere Brüder dort drüben …« Vor dem Verwaltungsbunker warteten schon Leutnant Odnopoff und Kommissar Fulkow. Auch einige Zivilisten standen herum, Freunde der Abranows. Aus Weiden und Ästen hatten sie Kränze geflochten und mit bunten Bändern verziert. Sie überreichten sie Vera Tscherkanowa und sagten: »Wenn wir wieder frei sind, holen wir es nach, Veraschka. Wir haben ja nichts mehr.«
Iwan Iwanowitsch faßte Vera unter. Sein rundes Gesicht glänzte vor Glück und Freude. Vera senkte den Kopf. Ihr blondes Haar quoll unter dem Kopftuch hervor. Bei der Heiligen Mutter von Kasan – sie war ein schönes Bräutchen!
»Viel Glück!« sagte Leutnant Odnopoff, bevor sie in den Behördenbunker gingen.
Und Kommissar Fulkow sagte laut: »Diese Hochzeit zeigt den Glauben an den Frieden!«
Na ja, er war eben ein
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