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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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zurückfahren. Er wollte in Vernay bleiben. Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich weiß nicht …«
       Ihr Flüstern wurde unhörbar. Ich hätte sie in den Arm nehmen sollen, aber ich brachte es nicht über mich. Weder jetzt noch zu einem anderen Zeitpunkt. Ich sagte aufs Geratewohl:
       »Er wird durchkommen, ganz bestimmt. Man …«
       Sie warf mir einen eisigen Blick zu. Ihre Augen funkelten feindselig.
       »Das kommt nur von eurem Job, eurem bescheuerten Job.«
       »Aber … es ist …«
       Ehe ich den Satz zu Ende bringen konnte, brach Laure in Tränen aus. Wieder hätte ich gern mein Mitgefühl zum Ausdruck gebracht, aber ich konnte Laure nicht berühren. Ich schlug die Augen nieder und bemerkte, dass sie den Mantel, den sie unter dem Kittel trug, falsch zugeknöpft hatte. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre angesichts dieses Details selbst in Schluchzen ausgebrochen. Nachdem sie sich die Nase geschnäuzt hatte, sagte sie leise:
       »Ich muss gehen … Die Kinder warten.«
       »Wo sind sie?«
       »In der Schule. Ich habe sie dort gelassen.«
       Ich hatte ein Rauschen in den Ohren. Unsere Stimmen wurden wie von Watte gedämpft.
       »Soll ich dich hinfahren?«
       »Ich bin mit dem Auto gekommen.«
       Während sie sich abermals schnäuzte, beobachtete ich sie. Schmales Gesicht, Hasenzähne, an der Seite graue Locken, die den Schläfenlocken von Rabbinern glichen. Ungewollt musste ich an eine Äußerung von Luc denken. Eine jener zynischen Floskeln, auf die er sich so ausgezeichnet verstand: »Das Problem Frau muss man so schnell wie möglich lösen, um es ad acta legen zu können.«
       Genau dies hatte er getan, indem er die junge Frau aus ihrer Heimat, den Pyrenäen, hierher verpflanzt und mit ihr schnell hintereinander zwei Kinder gezeugt hatte. Ich sagte, weil mir nichts Besseres einfiel:
       »Ich ruf dich heute Abend an.«
       Sie nickte und verschwand in Richtung Umkleideraum. Ich drehte mich um: Der Anästhesist war verschwunden. Nur Svendsen stand noch da – der unvermeidliche Svendsen. Mein Blick fiel auf den Kittel, den der Doktor auf einem Stuhl zurückgelassen hatte. Ich griff danach:
       »Ich gehe zu Luc rein.«
       »Lass es sein.« Er stoppte mich mit einem festen Handgriff. »Der Doktor hat uns doch gerade gesagt, dass sie Tests mit ihm durchführen.«
       Ungehalten machte ich mich von seinem Griff los. Da sagte er in beschwichtigendem Tonfall:
       »Komm morgen wieder, Mat. Das wäre für alle besser.«
       Mein Zorn legte sich. Svendsen hatte recht. Ich musste die Ärzte ihre Arbeit machen lassen. Was hätte ich davon, meinen Freund zu sehen, wie er an Schläuchen und Infusionen hing.
       Mit einer Handbewegung verabschiedete ich mich von dem Gerichtsmediziner und stieg die Treppe hinunter. Mein Kopfweh ließ nach. Gedankenverloren ging ich in Richtung Station für Strafgefangene, auf der verletzte Tatverdächtige und Drogenabhängige auf Entzug behandelt wurden. Doch dann blieb ich stehen. Bloß keinem mir bekannten Polizisten begegnen! Ich wollte keine rührseligen Beileidsbezeigungen oder mitfühlenden Worte hören.
       Ich nahm den Weg zur Haupteingangshalle. Am Ausgang zog ich mein Paket Camel ohne Filter heraus und zündete mir eine an. Ich atmete den ersten Zug tief ein.
       Mein Blick fiel auf den Warnhinweis, der auf das Paket geklebt war: RAUCHEN KANN EINEN LANGSAMEN UND SCHMERZHAFTEN TOD ZUR FOLGE HABEN! Ans Gitter gelehnt, nahm ich einige Züge und ging dann nach links, zum Gebäude, das den Mittelpunkt meines Lebens bildete: Quai des Orfèvres, Nr. 36. Plötzlich besann ich mich anders und wandte mich nach rechts, dem zweiten Angelpunkt meines Lebens zu.
       Der Kathedrale Notre-Dame.

KAPITEL 2
    Schon am Portal begannen die Warnhinweise: Vorsicht, Taschendiebe! Aus Sicherheitsgründen ist die Mitnahme von Gepäckstücken verboten! Bitte ruhig verhalten … Ungeachtet der vielen Menschen hatte ich immer das gleiche Gefühl, wenn ich das Innere von Notre-Dame betrat.
       Ich gebrauchte die Ellbogen und erreichte das marmorne Weihwasserbecken. Ich tauchte die Fingerspitzen ins Wasser und bekreuzigte mich, während ich mich gleichzeitig vor der Madonna verneigte. Ich spürte, wie der Kolben meiner USP 9-mm-Para gegen meine Hüfte drückte. Lange Zeit hatte ich ein Problem mit meiner Dienstwaffe gehabt. Durfte man eine Pistole mit in die Kirche nehmen? Zunächst hatte ich sie unter dem

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