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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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der Marne aufgefunden worden, zur Hälfte mit Erde bedeckt. Meyer beschrieb den Fundort der Leiche, den Humus und das Laub. Und die Schuhe, die im rechten Winkel zum aufgeschütteten Grab standen. Was hatte das mit den Schuhen zu bedeuten?
       In meinem Gedächtnis nahm eine Erinnerung Gestalt an. Während meiner »humanitären« Phase, bevor ich Afrika bereiste, war ich in den nördlichen Pariser Vororten in einem Bus herumgefahren und hatte Lebensmittel, Kleidung und Medikamente an obdachlose Familien verteilt, die unter den Brücken des Boulevard Périphérique hausten. Bei dieser Gelegenheit hatte ich mich mit der Kultur der Roma beschäftigt. Hinter ihrem heruntergekommenen, verwahrlosten Äußeren verbarg sich eine straff organisierte Gemeinschaft, bei der insbesondere die Beziehung zwischen den Geschlechtern und die Beisetzung der Toten strengen Regeln unterlagen. Bei einer Beerdigung, an der ich teilnahm, war mir ein rätselhaftes Schuhritual aufgefallen. Die Roma hatten dem Leichnam vor der Bestattung die Schuhe ausgezogen und die Stiefel neben das Grab gestellt. Weshalb? Ich erinnerte mich nicht mehr, aber ich hielt es für angezeigt, dieser Parallele auf den Grund zu gehen.
       Ich griff zum Telefon und rief Malaspey an, den Kühlsten und Verschlossensten meiner Leute. Der Einzige, der mit Sicherheit nicht mit mir über Luc sprechen würde. Ich bat ihn, einen Experten für die Roma-Kultur aufzutreiben und etwas über ihre Bestattungsriten herauszufinden. Falls sich mein Verdacht bestätigte, müssten wir bei den Roma-Gemeinschaften im Departement Val-de-Marne Nachforschungen anstellen. Malaspey stimmte mir zu und legte auf, ohne dass ein persönliches Wort gefallen wäre – genau so, wie ich es erwartet hatte.
       Zurück zum Papierkram. Vergeblich. Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren. Ich legte die Vernehmungsprotokolle zur Seite und betrachtete meine Rumpelkammer, an deren Wänden sich die Akten der ungelösten Fälle stapelten. Fälle, deren Akten ich nicht schließen wollte. Ich war der einzige Ermittler in der Mordkommission, der diese Dokumente aufhob. Der Einzige, der ihre Verjährungsfrist – bei Bluttaten zehn Jahre – voll ausschöpfte, indem ich hin und wieder eine Vernehmung durchführte oder einem neuen Hinweis nachging.
       Mein Blick fiel auf das mit Reißzwecken auf einer Aktenmappe befestigte Foto eines jungen Mädchens. Cecilia Bloch, deren verbrannter Körper 1984 einige Kilometer von Saint-Michel-de-Sèze entfernt aufgefunden worden war. Der Täter war nie gefunden worden – das einzige Indiz waren die Aerosol-Spraydosen, mit deren Hilfe die Leiche angezündet worden war. Damals war ich Internatszögling in Sèze, und die Tat ging mir nicht aus dem Sinn. Eine Frage ließ mir keine Ruhe: Hatte der Mörder die Kleine zuerst getötet oder sie bei lebendigem Leib verbrannt? Nachdem ich Polizist geworden war, hatte ich die Akte ausgegraben, den Tatort besichtigt und die Gendarmen sowie die Anwohner befragt – ohne Ergebnis.
       Das Foto eines weiteren Kindes hing an der Wand. Ingrid Coralin. Eine Waise, die mittlerweile zwölf Jahre alt sein musste und ihre Kindheit in Heimen verbracht hatte. Ich war indirekt für den Tod ihrer Eltern im Jahr 1996 verantwortlich und überwies ihr anonym eine feste Summe.
       Cecilia Bloch, Ingrid Coralin.
       Meine vertrauten Phantome, meine einzigen »Kinder« …
       Ich schüttelte die Gedanken ab. Es war fast 20 Uhr – Zeit zu handeln. Ich stieg eine Etage nach oben, gab den Zugangscode zum Rauschgiftdezernat ein und betrat die Räumlichkeiten. Rechter Hand kam ich an dem Open Space des Ermittlungsteams von Luc vorbei. Kein Mensch. Man hätte meinen können, dass sie sich alle irgendwo anders versammelt hatten – vielleicht in einem ihrer Stammlokale, um in Ruhe einen zu heben. Lucs Männer waren die hartgesottensten Burschen in der Kripozentrale am Quai des Orfèvres. Ich wünschte den Typen von der Internen Ermittlung, die sie vernehmen würden, viel Glück. Aber sie würden bei ihnen auf Granit beißen.
       Ich kam an der Tür von Lucs Dienstzimmer vorbei; ohne stehen zu bleiben, warf ich einen Blick in die Nebenzimmer: niemand. Ich kehrte um, drückte die Türklinke herunter – abgeschlossen. Aus meiner Tasche zog ich einen Schlüsselbund und hatte das Schloss nach wenigen Sekunden geöffnet. Lautlos betrat ich den Raum.
       Luc hatte aufgeräumt. Der Schreibtisch blitzeblank. An den Wänden nicht ein

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