Das Herz der Ozeane - Honky Tonk Pirates ; Bd. 5
die Freiheit zu schützen.
Das Boot glitt langsam in die Ruine und in ihrem vom kalten Mondlicht erleuchteten Inneren schien alles noch viel schlimmer zu sein. Die Bilder des Kampfes kehrten wieder zurück. Der Angriff der Indianer, die sich in einem nicht mehr enden wollenden Ansturm, fünftausend Mann gegen neunzehn Verteidiger, gegen die Drachenburg geworfen hatten. Will sah die Pfeile und Tomahawks, die um sie herum geflogen waren. Es waren zu viele gewesen, um sich dagegen zu wehren. Er sah Valas, den Pottwal über die Kante des Wasserfalls stürzen. Er sah die Kanonen in seinem grausigen Helm. Sie zerschossen die Festung und dann sah er noch einmal, wie die Stirn des riesigen Wals ihren letzten Schutz, das mächtige Tor aus den Angeln sprengte.
Will zitterte fiebrig und atmete heftig. Ja, er begriff erst jetzt, in welcher Gefahr sie sich alle befunden hatten, und er konnte in diesem Moment nicht mehr verstehen, wie sie sie hatten überleben können. Will schaute zu Nat. Der ließ sich nichts anmerken. Der war einfach nur cool, aber so blass wie das Mondlicht, und Hannah sang leise und atemlos:
»Was schert mich der Teufel oder die Hölle?
Denn ich, ja, ich bin in der Hölle zu Haus.«
Sie spürte Wills Blick und verbarg ihre Angst. »Hey, komm schon. Wir sind die Sieger, Will!« Sie wischte sich einmal kurz übers Gesicht. Das heißt, sie wollte das tun, bevor sie erkannte, dass diese Geste ihr Make-up zerstören würde. Deshalb sog sie den Rotz kurzer Hand aus der Nase und rief: »Hey, Feuerkopf Finn! Du hast uns eine Party versprochen. Und jetzt sieht das wie ’ne Beerdigung aus. Ist jemand gestorben? Hat es Whistle erwischt?«
Sie erschrak vor sich selbst. Sie wusste, wie schlecht es um den Piraten stand, doch sie wollte nicht wahrhaben, dass er sterben musste. Deshalb scherzte sie weiter: »Hey, Finn, hat der alte Bastard sich etwa davongeschlichen, ohne mir Lebewohl zu sagen? Hab ich zu lange gebraucht, um mich anzukleiden?« Sie fing mit der Fingerspitze eine Träne, die zwischen den Diamanten auf ihrer Wimper saß, und versuchte zu lachen: »Dabei hab ich mich heut für ihn in Silber gekleidet. Damit ich so aussehe wie seine Chen …«
Sie schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter und erhob ihre Stimme: »Hey, Whistle! Du weißt doch. So wie Chen damals aussah, als sie den Drachenring trug. Als sie die beste Piratin war und du ihre Schönheit in Eis gebannt hast. In eurem Palast am Eishorizont.« Sie schniefte ihre Trauer trotzig weg. »Verflucht, ich wollte doch nur, dass du noch mal glücklich bist, bevor du verreckst!«
Will sah die Tränen in Hannahs Augen.
»Bevor dich die Maden fressen, falls sie so einen stinkenden Kerl wie dich nicht verschmähen.« Sie schaute sich um. Das Mondlicht war kalt und in ihm schlief die Ruine der Drachenburg wie ein zerborstenes Wrack. Der Dreispitz, Finns Schiff, lag vor ihnen am Steg, als hätte man ihn dort einfach vergessen.
»Na, komm schon!«, zischte Hannah. »Ich dachte, wir feiern.«
Da ertönte die Stimme des alten Piraten. »Das tun wir auch endlich, wenn du aufhörst zu heulen!«
Der Satz blies ihnen wie ein Sturm ins Gesicht. Und während sie alle erleichtert lachten, loderten überall Zündschnüre auf. Sie hingen an den Wänden oder über ihnen im Raum und brannten wie Wunderkerzen.
»Hey!«, staunte Hannah. »Was hab ich gesagt. Wir haben gewonnen!«
Da explodierten die Funken am Ende der Schnüre und entfachten ein gigantisches Feuerwerk. Raketen schossen aus der Ruine und malten Bilder in die Luft. Bilder von Meeren und Seeungeheuern, zwischen denen sich Schiffe jagten. Will sah den Fliegenden Rochen, der Seite an Seite mit Valas schwamm.
»Seht doch, da!«, rief er, zeigte staunend nach oben und duckte sich schreckhaft, als die Feuerwerksfunkenabbilder der beiden Piratenschiffe das Feuer aus ihren Kanonen eröffneten. Doch die Kugeln, die sie verschossen, zerstoben und wurden zu Vögeln. Sie wurden zu einem Schwarm aus rosa Flamingos, der sich vor einer ebenfalls explodierenden Sonne in den Sternenhimmel erhob.
»Das ist das Feuerwerk«, hörten sie Whistles begeisterte Stimme, »zu dem dein Cousin, der fiese Zwerg Gagga Hochzeit mit dir feiern wollte. Ich hab es stibitzt, bevor ich dich in Berlin befreit hab, und ich denke, er kann es jetzt auch genießen. Sicherlich sieht er es, während er den Fluss hinabtreibt und winselnd seine Wunden leckt!«
Und genau das tat der Neffe des Königs von Frankreich. Während Valas, der
Weitere Kostenlose Bücher