Das Herz der Ozeane - Honky Tonk Pirates ; Bd. 5
geschmückten Dreispitz. Girlanden und Lampions verwandelten das sonst so Furcht erregende Kampfboot in eine lauschige Laube und in der drehten sich Hannah und Will langsam im Kreis. Viel zu langsam für die schnelle Musik, was Hannah inzwischen zu nerven begann. Doch Will war zu glücklich, um das zu bemerken. Nein, er machte in diesem Moment auch noch den Fehler, dass er sich für glücklicher hielt, als er war. Die Musik war berauschend. Sie schwoll immer mehr an. Das Tempo nahm zu, doch zwei Herzschläge vor dem Finale machten Cutter und Ratten-Eis-Fuß einen Break.
Klavier und Geige verstummten abrupt und während Cutters sandige Schleifpapierstimme in den untersten Tiefen ihren Ton aufreizend hielt, stoppte der Tanz. Alle standen kurz still und diesen Augenblick nutzte Nat aus. Er sprang auf den Dreispitz, lief dort zum Bug, klopfte Will ab …
»Du erlaubst doch, mein Kleiner!«
… übernahm dessen Tanz und schwang sich, als sich der Refrain ein letztes Mal wiederholte, zusammen mit Hannah auf das runde Dach der Kajüte, wirbelte die Piratin um sich herum, zog sie durch seine Beine, schleuderte sie in die Höhe und sang mit allen anderen zusammen:
»Hinter dem Horizont und im Herzen der Ozeane
Lebt man und tanzt man
Den Honky Tonk Blues!«
Er fing Hannah auf, ließ sie in seine Armbeuge gleiten, beugte sich über sie und küsste die atemlose Piratin so stürmisch und leidenschaftlich, wie selbst Will sich nicht getraut hatte, sie damals zu küssen, als er sie von der Springwarzen-Lügenpest erlöst hatte. Und damals war das aus reinster Liebe geschehen.
»Hinter dem Horizont, im Herzen der Ozeane
Lebt man und tanzt man
Den Honky Tonk Blues!«
Sie sangen und tanzten und wollten nicht aufhören und Nat küsste Hannah und sie küsste ihn.
Will hielt es nicht aus. Er stand auf dem Dreispitz und starrte wie versteinert zu den beiden hinauf. Das waren seine Freunde. Nat war sein Freund und Hannah das Mädchen, das er seit zwei Jahren liebte.
Er stand da als Einziger: mutterseelenallein …
… Er sang nicht und tanzte nicht und er wollte nichts wissen, nichts sehen und hören und nahm doch alles ganz genau wahr.
Zappenkrautfinsterer Flitzfliegenschiss!
Er pfiff auf den Horizont und das Herz aller Ozeane und er pfiff auch auf diesen von Teufel und Gott verfluchten Honky Tonk Blues …
Da brach die Musik ein zweites Mal ab. Doch dieses Mal war es kein inszenierter Break. Cutter, dessen Gesicht an den Tasten klebte, setzte sich langsam und verwundert auf und Ratten-Eis-Fuß sackte die Geige – begleitet von einem quietschend verebbenden Ton – mit dem Kinn auf die Brust. Die Tanzenden torkelten in den Stand und dann starrten alle von Blind Black Soul Whistle, der warnend die Hand erhoben hatte, zum Dach des Dreispitzes. Dort standen sich Will und Nat gegenüber und jeder von ihnen drückte dem anderen die Spitze des Degens gegen den Hals.
»Ich hab gesagt, dass es reicht!«, zischte Will und wurde sich langsam bewusst, was in den letzten Sekunden passiert war.
Er war auf das Dach der Kajüte gesprungen, hatte Nat ohne Vorwarnung aus Hannahs Armen gerissen und auf den Bug hinabgestoßen.
»Es reicht!«, hatte er dabei wütend gefaucht. »Das ist mein Mädchen. Die fasst du nie wieder an!«
»Wie bitte? Was?«, hatte Hannah gefragt.
»Du hältst dich da raus!«, hatte er ihr befohlen.
Da sprang Nat schon zurück aufs Dach. Er hatte irgendwo einen Degen gefunden und griff Will damit an. »Das war ein Fehler! Ein ganz großer Fehler!«, beschuldigte er seinen Freund.
Der duckte sich unter dem Schlag hindurch, spürte wie Nats Klinge seine Mütze streifte, schnellte nach vorn, zog dabei seine Waffe und zielte mit ihr auf Nats – nach dem missglückten Angriff – jetzt ungeschützten Hals.
»Den Fehler hast du gemacht«, zischte er wütend, »als du mir in New York begegnet bist!«
Da drehte sich Nat in letzter Sekunde, umfasste den Degen mit beiden Händen, riss ihn über den Kopf, drückte die Klinge dabei nach unten und parierte Wills Hieb einen Fingerbreit vor seinem Hals.
»Nein, mein Fehler«, presste Nat heraus, »mein Fehler ist, dass du noch lebst!«
»Das gilt auch für dich!«, konterte Will gehässig. Die beiden standen so nah beieinander, dass sich ihre Nasen berührten. »Du bist einfach überflüssig. Du bist der, der hier zu viel ist!« Er stieß Nat weg und schlug gleichzeitig zu. Dabei traf er dessen Mütze aus Biberfell und schleuderte sie ins Wasser.
Nat stutzte
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