Das Herz der Puppe
sagte Widu und zeigte auf einen kleinen Kinderschaukelstuhl. »Den hätte ich gern. Darin könnte ich die Langeweile wegschaukeln, wenn du in der Schule bist.«
Nina sah auf das Schild über der Tür. Der Schaukelstuhl befand sich im Kellerabteil Nummer 4.
»Das Abteil gehört Frau Fröhlich«, sagte sie. »Sie ist eine alte Blumenhändlerin und sehr, sehr lieb. Ich werde sie danach fragen.«
Als sie nach ihrer langen Expedition in die Wohnung zurückkehrten, war Ninas Mutter längst nach Hause gekommen.
»Wir waren im Keller!«, erklärte Nina fröhlich.
»Wozu das denn?«, fragte die Mutter besorgt und zugleich ein bisschen streng. »Du hast da unten doch nichts zu suchen. Ich habe mir schon Sorgen gemacht.«
»Ich hab in Frau Fröhlichs Abteil einen Schaukelstuhl für Widu gefunden. Und die Kellertür muss mal geölt werden«, fügte Nina hinzu.
Ihre Mutter lachte. »Da hast du recht«, sagte sie. »Das sollte dringend jemand machen, das gequietsche nervt.«
Zwei Tage später staunte Ninas Mutter, als ihr Frau Fröhlich im Treppenhaus einen winzigen Kinderschaukelstuhl übergab. »Für Nina. Sie hat ihn sich für ihre Puppe gewünscht. Bei mir staubt er doch nur ein.«
»Aber …«, entgegnete die Mutter verlegen.
»Kein aber bitte, Nina ist so ein nettes und aufgewecktes Mädchen, ich freue mich doch, wenn ich ihr damit eine Freude machen kann.«
Von da an schaukelte Widu jeden Tag, solange Nina in der Schule war. Nina musste lachen, wenn sie nach Hause kam und sah, dass Widu eines der Kuscheltiere auf dem Schoß hatte.
»Wolke war heute etwas geknickt, da dachte ich, ich schaukle ihr die Trauer weg«, erklärte die Puppe, und zwei, drei Tage später war es Mauli, das Nilpferd, das vergnügt auf Widus Schoß saß. »Puh, der Riesenkerl hat mich fast erdrückt«, seufzte die Puppe. »Gut, dass du gekommen bist!«
»Und ich habe vor lauter Schaukeln mal wieder einen Mordshunger«, sagte Mauli.
Drei Wochen später wollten die Eltern ihre nächste Reise antreten, und wieder kam Tante Olga, um so lange bei Nina zu übernachten. Widu und Nina warteten, bis Tante Olga nach dem Abendessen die Küche aufgeräumt und dann den Fernseher eingeschaltet und laut aufgedreht hatte. Dann schlichen sie leise aus der Wohnung.
Der Park war wunderschön, denn der Vollmond versilberte die Landschaft. Und das erste Ungeheuer, das Nina packen wollte, war gar kein Ungeheuer, sondern eine Birke. Das zweite, das im gebüsch so schreckliche Kratzgeräusche machte, war ein Kätzchen, das erschrocken davonrannte, als Nina und Widu näher kamen. Und was so leise raschelnd unter den Blättern herumschlich, war kein geist, sondern eine Maus.
Es verging bestimmt eine Stunde, bevor sie in die Wohnung zurückkehrten. Vorsichtig öffnete Nina die Wohnungstür und huschte blitzschnell in ihr Zimmer. Sie lachte, als Widu, kaum dass sie die Tür geschlossen hatte, fürchterlich laut rülpste.
»Entschuldigung!«, sagte die Puppe. »Ich muss mich ein bisschen übergessen haben. Aber deine Angst war heute gut gewürzt und extra lecker.«
Wie man lästige Jungs
loswerden kann
Eines Morgens merkte Widu, dass Nina sehr unruhig war. Sie hatte bereits gefrühstückt, und ihre Eltern waren heute beide schon zur Arbeit gegangen. Nervös ging sie in ihrem Zimmer auf und ab.
»Was hast du denn? Müsstest du nicht längst auf dem Weg zur Schule sein?«, fragte Widu.
»Doch, doch, aber bestimmt lauert mir wieder dieser lästige Junge auf.«
»Welcher Junge denn?«
»Seit drei Tagen wartet er morgens vor der Bäckerei in der Schubertstraße auf mich und will … und will mit mir knutschen.«
»Aber knutschen ist doch schön«, sagte die Puppe versonnen.
»Mag sein«, antwortete Nina. »Aber doch nicht mit dem! Er ist älter und größer und dreimal dicker als ich. Er macht mir Angst, und deshalb renn ich lieber davon. Zum glück bin ich schneller als er, aber eigentlich will ich nicht davonrennen, schon gar nicht am frühen Morgen.«
»Und was willst du sonst tun?«, fragte Widu besorgt.
»Na ja, am liebsten würde ich ihm in die Eier treten«, erwiderte Nina.
»Oh, oh, oh!«, rief Widu und stieß einen erstaunten Pfiff aus. »Mademoiselle ist offenbar sehr zornig auf den garstigen Kerl.«
»Stimmt. Aber wenn ich ihn dann sehe, trau ich mich nicht.«
»Weißt du, wo er wohnt?«
»Ja, von der Bäckerei aus gleich um die Ecke, in der Beethovenstraße.«
»Und könntest du sein Haus erreichen, ohne an der Bäckerei
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