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Das Herz der Puppe

Das Herz der Puppe

Titel: Das Herz der Puppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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vorbeizukommen?«
    »Ja, wenn ich durch die Schiller- statt durch die Schubertstraße gehen würde, käme ich von der anderen Seite in die Beethovenstraße.«
    »Na, prima! Dann wollen wir ihn mal lieber nicht in die Eier treten, sondern mit seinen Eltern sprechen. Steck mich zwischen deinen Schulranzen und deinen Rücken, dann kann ich dir die Angst fortsaugen.«
    Nina tat, was Widu sagte, und bei allem, was sie von da an tat, spürte sie kein Fitzelchen Angst. Seelenruhig ging sie auf die Tür des Hauses in der Beethovenstraße zu, in dem der Junge wohnte. Sie klingelte und wartete. Eine Frau öffnete die Tür und schaute erstaunt auf das Mädchen, das vor ihr stand und mit fester Stimme sagte:
    »Entschuldigen Sie bitte, aber Ihr Sohn macht mir immer Angst. Er steht jeden Morgen vor der Bäckerei in der Schubertstraße und will mich anfassen und mit mir knutschen. Vielleicht könnten Sie öfter mit ihm knutschen, damit er genug davon hat und mich in Ruhe lässt.«
    Die Frau lächelte Nina freundlich an. »Mein Sohn gabriel? Bist du sicher?«
    »Er steht gleich hier um die Ecke«, antwortete Nina.
    Da stellte die Mutter einen kleinen Schemel in die Haustür, damit sie nicht zuschlug, und folgte Nina. Mit Widu im Rücken ging Nina festen Schrittes voran.
    Als sie um die Ecke bog, grinste gabriel breit. »Ich dachte schon, du hättest dich versteckt«, rief er ihr entgegen.
    »Hab ich nicht. Aber ich habe deine Mama mitgebracht, damit sie mit dir knutscht«, erwiderte Nina und ging erhobenen Hauptes an ihm vorbei.
    Erst jetzt sah gabriel seine Mutter und erstarrte.
    Als Nina sich noch einmal umschaute, sah sie, wie die Mutter ihren Sohn in den Arm nahm und auf die Augen küsste. Er stand stocksteif und mit hängenden Armen da, fast unbeteiligt.
    Aber von diesem Tag an hatte Nina Ruhe.

Wo bist du,
wenn du schläfst?
    »Was machst du?«, fragte Nina, als sie einmal mitten in der Nacht aufwachte und Widu vor sich hin wispern hörte.
    »Ich wusste schon lange, dass das Feuer im Holz wohnt, die Wolke im Meer und der Wein in der Traube – aber der Mensch bleibt mir ein Rätsel.«
    »Warum ein Rätsel?«
    »Tja, ich frage mich zum Beispiel, wo du bist, wenn du schläfst?«
    »Na, hier neben dir«, erwiderte Nina ein wenig verwundert.
    »Das ist genau das Problem. Du liegst zwar hier, aber du bist nicht wirklich da. Du bist fast wie tot. Und doch lebst du und siehst Sachen, die ich nicht sehe. Du denkst, sprichst, schmeckst, gehst, schwimmst und fürchtest dich in einer anderen Welt, und sobald du die Augen aufmachst, verschwindet diese Welt, wer weiß, wohin, und du bist wieder bei mir.«
    »Und du? Bleibst du immer hier?«
    »Nein. Wenn du nicht da bist, verschwinde ich manchmal ins Land der Puppen. Ich halte es zwar immer nur kurze Zeit in dem Land aus, denn es ist eiskalt dort und ich habe mich an die Wärme der Menschen gewöhnt, aber trotzdem zieht es mich immer wieder hin. Es ist das Land der Vernunft, deshalb machen die Puppen auch nie einen Fehler, logisch. Aber ich komme allmählich zu dem Schluss, dass die Kälte eigentlich ihr größter Fehler ist. Nicht die äußere Kälte, meine ich, sondern die Kälte zwischen ihnen. Die ist unerträglich. Das finde ich jedenfalls, seit ich bei dir bin.«
    »Oh«, sagte Nina und empfand dabei ein seltsames glück.
    Die Puppe wiederum spürte, dass Nina etwas hatte, was ihr fehlte. Was ist das nur?, fragte sie sich. Und warum kann ich es nicht haben?

Das Zauberwort
    Irgendetwas musste Tante Olga an dem Tag geärgert haben . Sie war schlecht gelaunt, als sie kam, sie war schlecht gelaunt, als sie das Abendessen für Nina kochte, und schlecht gelaunt, als sie die Puppe sah.
    »Leg sie zur Seite, solange du isst!«, nörgelte sie.
    »Was hat sie denn gegen mich? Ich kann doch nichts dafür, dass ihre galle sprudelt«, sagte Widu.
    »Warum? Die Puppe kann doch nichts dafür, dass deine galle sprudelt!«, sagte Nina und konnte sich ein Lachen kaum verkneifen.
    »Dass meine galle sprudelt?«, wiederholte die Tante empört.
    Dann löffelte sie mürrisch ihre Suppe.
    Die Suppe schmeckt heute auch nach schlechter Laune, dachte Nina im Stillen.
    »Kannst du mir den Salzstreuer geben?«, fragte sie.
    Tante Olga sah von ihrem Teller auf. »Und? Wie heißt das Zauberwort?«
    » Simsalabim «, flüsterte Widu.
    »Simsalabim?«, sagte Nina.
    »Nein«, sagte die Tante und knallte den Löffeln neben ihren Teller.
    Aber auch Hokuspokus schien ihr nicht zu passen.
    »Dann muss es Abrakadabra

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