Das Herz der Puppe
früh hundemüde.«
»Ich kann aber nicht schlafen«, erwiderte Nina.
Der Vater wusste wohl, dass Nina ihre Mutter, ihre Freundin Lulu und die verlorene Puppe vermisste. »Na gut«, sagte er, »spielen wir noch ein bisschen Zirkus.«
»O ja!«, rief Nina und sprang aus dem Bett. Sie mochte es sehr, wenn ihr Vater Zeit für sie hatte und Zirkus mit ihr spielte. Er war sehr sportlich und konnte ein paar schöne Kunststücke. Ein paar davon machten sie auch zu zweit, danach verbeugten sie sich vor dem Publikum, und Nina war immer richtig stolz, obwohl ihnen nur der Schrank, das Regal, der Stuhl, der Tisch und eine Menge Kuscheltiere zugesehen hatten.
»Stell dir vor, der runde Teppich wäre die Manege«, sagte der Vater, als Nina aus dem Bett kam. »Und der Schrank wäre der Zirkusdirektor. Er beobachtet alles. Der Stuhl wäre der Kapellmeister und der Tisch die Kassiererin. Und die Kuscheltiere wären unser Publikum.«
Als Erstes jonglierte Ninas Vater mit drei Bällen. Das konnte er nicht schlecht, und beim Kopfstand gleich hinterher war er einmalig.
»Allez hopp!«, rief Nina begeistert.
Dann führten sie zusammen eine Bodenakrobatik auf. Nina war heute besonders gut und vergaß auch nicht zu lächeln! Das Publikum war entzückt. Der Zirkusdirektor Schrank war so aus dem Häuschen, dass eine seiner Türen knarrend aufging, als der Vater Nina durch die Luft wirbelte und sie elegant wie eine Schwalbe in seine Arme zurücksegelte.
»Der Herr Zirkusdirektor kriegt den Mund gar nicht mehr zu«, rief der Vater prustend vor Lachen. »Soll ich dir jetzt die geschichte von dem Artisten erzählen, der auf dem Hochseil geht und plötzlich merkt, dass er Pipi machen muss?«, fragte er und trug Nina zum Bett.
»Nein, Papa«, sagte Nina, »die geschichte kenne ich schon. Erzähl mir lieber eine andere!«
Da erzählte ihr der Vater von dem ängstlichen Clown, der eines Abends in die Manege trat und rief: »Kinder, so einen mutigen Mann wie mich habt ihr noch nie gesehen! In Afrika habe ich drei Löwen in die Flucht geschlagen und in Indien einen Tiger am Schwanz gepackt und so lange im Kreis gewirbelt, bis ihm schwindlig wurde! Das prachtvolle Tier war so groß war wie ein Pferd und hat nur miaut wie ein kleines Miezekätzchen!« genau da bellte hinter dem Clown ein kleiner Dackel, und der große Held fiel vor Schreck in Ohnmacht.
»So, und jetzt musst du wirklich schlafen«, sagte der Vater. »Aber vorher werde ich dir noch einen allerletzten Wunsch erfüllen, meine Prinzessin.« Dabei verbeugte er sich übertrieben tief und lachte vergnügt.
»Dann … dann erzähl mir noch eine geschichte!«, sagte Nina.
»Einverstanden«, sagte der Vater, der spürte, wie sehr Nina ihre Mutter vermisste, die ihr meistens gutenachtgeschichten erzählte.
»Ich habe meine Mama als Kind immer sehr vermisst, wenn sie zu ihrer Mutter fuhr«, begann der Vater, nachdem Nina unter die Decke geschlüpft war. »Großmutter war lange schwer krank und wohnte weit weg, und meine Mutter musste uns Kinder oft zurücklassen und allein zu ihr fahren. Wir gingen ja zur Schule. Weil mein Papa immer lange arbeitete, kam dann Tante Elisabeth, die Cousine meiner Mutter, zu uns. Sie kümmerte sich zwar liebevoll um uns, aber niemand kann eine Mama ersetzen. – Auch ich nicht«, fügte er mit trauriger Stimme hinzu. Dann küsste er Nina auf die Stirn, legte sich zu ihr und erzählte ihr von kuschelnden Hasen und schnarchenden Bären in wunderbar gemütlichen Erdhöhlen.
Aber Nina konnte nicht schlafen.
Da erzählte der Vater von Delfinen und Fischen, die im Schlaf weiterschwimmen, und dann von Faultieren und Menschen, die nichts lieber tun, als zu schlafen, aber es half alles nichts. Ihn selbst machten seine geschichten todmüde, aber Nina blieb hellwach. Dabei war es inzwischen schon nach neun.
»Weißt du, wie ich als Kind immer ganz schnell eingeschlafen bin?«, fragte der Vater schließlich und fuhr, noch bevor Nina den Kopf schütteln konnte, fort: »Ich habe Schafe gezählt, die über einen niedrigen Zaun sprangen. Das hab ich zusammen mit meinem Papa gemacht, und es hat immer geholfen. Es kommt nur darauf an, schön langsam und sorgfältig zu zählen.«
»Okay«, sagte Nina und begann, mit ihrem Vater Schafe zu zählen, die über einen niedrigen Zaun sprangen.
Als Nina »siebenundzwanzig« sagte, schwieg ihr Vater, und bei »achtunddreißig« schnarchte er. Von da an zählte Nina alleine weiter.
Erst bei »hundertsiebenunddreißig« wachte
Weitere Kostenlose Bücher