Das Herz der Puppe
abbekommen.«
Nina wischte Widu mit dem Ärmel ihres Pullis das gesicht ab, bevor sie zur Haustür zurückging. Die aber war inzwischen zugefallen. Und Nina wollte nicht klingeln. Tante Olga hätte sonst gemerkt, dass sie ohne ihre Erlaubnis rausgegangen und durch und durch nass geworden war. Bestimmt hätte die Tante geschimpft. Also wartete Nina und hoffte, dass irgendwann jemand aus dem Haus kommen oder ins Haus hineingehen würde. Sie wartete und wartete und fror erbärmlich.
Wie lange sie da in ihren klatschnassen Kleidern stand, wusste sie später nicht mehr. Nur dass irgendwann ein Nachbar nach Hause kam und sie verwundert einließ.
Zusammen mit Widu schlich Nina sich in die Wohnung zurück, und Tante Olga merkte nichts. Erst fünf Minuten später, als die Quizsendung zu Ende war, kam sie, um zu fragen, ob Nina Hunger habe, und erschrak, als sie das klatschnasse Mädchen sah. Nina war dabei, die Puppe mit einem Handtuch abzutrocknen. Ihre gewissensbisse ließen sie die Kälte vergessen.
»Um gottes willen, was ist denn passiert?«, fragte die Tante besorgt.
Widu verdrehte die Augen. »Ach, nicht der Rede wert! So was passiert im Zirkus jeden Tag«, sagte sie, aber das konnte die Tante ja nicht hören.
»Widu ist abgestürzt wie im Zirkus«, sagte Nina zähneklappernd.
Das hörte die Tante zwar, aber sie verstand es nicht. Kopfschüttelnd half sie Nina, die nassen Sachen auszuziehen, dann rubbelte sie sie mit dem Badetuch trocken. Nina hustete und nieste in einem fort, und Tante Olga packte sie in trockene Kleider. Dann eilte sie in die Küche und kochte einen Hustentee.
Doch Nina hustete die ganze Nacht, und am frühen Morgen hatte sie Fieber und fühlte sich sehr krank. Die Tante kochte wieder Tee und hoffte, dass es Nina bald wieder besser gehen würde, doch die hustete jetzt fast ununterbrochen und sah von Minute zu Minute blasser aus.
Als die Eltern abends anriefen, wiegelte Tante Olga trotzdem ab. Alles sei in Ordnung, aber ja. Sie meinte es gut. Sie wollte nicht, dass sich die Eltern Sorgen machten.
Doch Ninas Zustand verschlechterte sich. Am nächsten Morgen rief die Tante den Hausarzt, Doktor gerhard, an und bat ihn, Nina zu untersuchen.
Der Doktor war ein freundlicher alter Mann mit einem runzligen gesicht und einer großen roten Nase. Hätte er sich noch einen großen roten Mund geschminkt, hätte er in jedem Zirkus auftreten können. Tante Olga sagte, das käme vom vielen Wein, den der Doktor trinke, und Nina stellte sich vor, wie der Doktor jeden Abend auf dem Boden lag und sich den Wein aus einem großen Fass direkt in den Mund fließen ließ. So etwas hatte sie einmal in einem Film gesehen.
Doktor gerhard meinte, Ninas Zustand sei nicht so schlimm, und ließ Tabletten für sie da. »Geben Sie ihr davon alle drei Stunden eine bis zum Abend, dann ist sie morgen wieder fidel.«
Dann streichelte er Nina über den Kopf und ging.
»Meine güte, was für einen Schnabel er im gesicht trägt!«, lästerte Widu.
Nina lächelte müde. Dann schlief sie ein, obwohl es noch nicht Mittag war, doch ihr Husten weckte sie bald wieder auf. So ging es von da an den ganzen Tag. Ihr war kalt und heiß zugleich, und der Hals tat ihr weh.
Der Arzt hatte sich geirrt. Und am Abend kamen die Eltern nach Hause, denen Tante Olga schließlich doch Bescheid gesagt hatte.
»Sie glüht regelrecht, dann wieder friert sie, und das Husten wird immer schlimmer«, erzählte die Tante besorgt. Sie strich mit den Händen über ihre Schürze und folgte den Eltern in Ninas Zimmer.
Nina freute sich sehr, als sie ihre Eltern sah. Nun würde alles gut werden. Für einen Augenblick konnte sie sogar lächeln. Der Vater legte die Hand auf ihre Stirn. Besorgt sah er seine Frau an.
»Ich glaube, wir müssen im Krankenhaus anrufen. Doktor gerhard ist sehr liebenswürdig, aber ich fürchte, hier hat er sich vertan«, sagte er.
Ninas Mutter mochte den alten Doktor, der auch sie schon behandelt hatte, als sie noch ein Kind war, jetzt aber teilte sie die Sorge ihres Mannes.
Dann merkte sie, dass Nina nach Luft schnappte, als hätte sie Atemnot.
Die junge Notärztin, die das Krankenhaus schickte, war eine energische Frau. Sie brauchte nicht lange, um festzustellen, dass Nina nicht zu Hause bleiben konnte. In der Küche sprach sie mit den Eltern.
»Was ist denn los? Das gefällt mir alles gar nicht«, sagte Widu.
Aber Nina konnte ihr keine Antwort geben. Sie war wieder eingeschlafen. Sie sah ein Feuer das
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