Das Herz der Puppe
Haus erfassen, in dem sie lebte, und dann sich selbst durch das Feuer rennen. gerade war sie den Flammen entkommen, als riesige Hunde auf sie zusprangen und hinter ihr herjagten. Sie waren aus Feuer, und ihre Augen glühten und funkelten wie Holzkohle im grill. Nina hatte große Angst. Doch es dauerte nicht lange, da musste sie lachen, denn die Hunde schmolzen in sich zusammen und wurden zu kleinen schneeweißen Pudeln, die um sie herumtanzten. Jetzt war es ein schöner Traum, und schuld daran war Widu, die sich an Ninas Angst satt gegessen hatte. Als Nina aufwachte, leckte sich die Puppe immer noch die Lippen.
Und dann kam Ninas Mutter ins Zimmer. »Du musst ins Krankenhaus«, sagte sie traurig.
»Aber Widu kommt mit«, sagte Nina.
»Natürlich, mein Schatz, natürlich« sagte die Mutter und kämpfte gegen ihre Tränen an.
»Nina ist ein tapferes Mädchen, und mit Widu kann ihr nichts passieren«, tröstete sie der Vater.
Widu war zufrieden. Sie drückte Ninas Hand. »Nicht übel, der Alte, ein kluger Mann«, sagte sie.
Im Krankenhaus wurde Nina gründlich untersucht. Man nahm ihr Blut ab, und ihre Brust wurde geröntgt, dann musste sie im Bett liegen und viele Medikamente nehmen. Ihre Mutter durfte bei ihr übernachten, und trotzdem ging es Nina immer schlechter. Bald konnte sie kaum noch atmen und auch nicht mehr reden.
Nur Widu schien von alldem nicht beeindruckt zu sein. Sie erzählte geschichten, machte sich lustig über das Essen und lästerte über eine Krankenschwester, die immer so streng schaute. Widu nannte sie »Zack-zack-dusch-dusch«, und eine andere, mehr rundliche taufte sie »Boing-boing-bum-bum«.
Welcher Hahn war dichter?
Zum Abendessen gab es gebratenes Hähnchenbrustfilet mit Reis. Nina ging es plötzlich etwas besser, und sie hatte sogar ein bisschen Appetit.
»Das ist ja alles lecker hier. Als ich klein war, bekam man im Krankenhaus nur Scheußlichkeiten zu essen. Allein der Anblick machte einen noch kränker, als man sowieso schon war«, sagte die Mutter und lächelte.
Nina lachte. »Willst du eine kurze geschichte über zwei Hähne hören?«, fragte sie, und ihre Mutter nickte.
»Es waren einmal zwei Hähne«, begann Nina, »der eine Hahn war jung und krähte, der andere war alt und tropfte.
›Du bist nicht dicht‹, sagte der erste.
›Nun ja, meine Dichtung ist auch nicht mehr das, was sie mal war‹, jammerte der alte Wasserhahn.
›Ich bin dichter‹, rief der rote Hahn stolz.
Das waren seine letzten Worte, denn da packte ihn die grobe Hand des Bauern, und das Beil erledigte den Rest. Zwei Sorten Tropfen fielen jetzt ins Becken, und wenn man ganz genau hinhörte, erkannte man in dem getröpfel eine leise Trauermelodie.«
»Woher hast du denn die geschichte?«, fragte die Mutter und sah dabei die rundliche Krankenschwester an, die gerade ins Zimmer gekommen war und alles mitangehört hatte.
»Widu hat sie mir erzählt. Sie hat die geschichte im Fundbüro beim alten Moritz gehört«, antwortete Nina.
O je, die Arme fantasiert!, dachte die Mutter, bestimmt ist das Fieber wieder gestiegen.
So war es in der Tat. Der Arzt kam, und nach einer kurzen Untersuchung ließ er Nina zwei Tabletten schlucken, eine weiße und eine braune. Darauf schlief das Mädchen sofort ein.
Wenig später kehrte der Arzt zurück, schaute Nina an und sprach mit der älteren Krankenschwester, die ihn begleitete. Widu hörte ihn leise erklären, wie schwer krank Nina war.
Danach konnte die Puppe vor Sorge kaum noch ein Auge zumachen. Erst jetzt verstand sie, wie ernst die Sache war. Sie schaute Nina an und hörte sie leise stöhnen. Es klang wie ferne Hilferufe. Widu wollte Nina am liebsten wecken und fragen, wie sie ihr helfen könnte. Sie versuchte es sogar, aber Nina spürte und hörte nichts.
Warum sich eine Puppe für
ein Herz entschied
Nach zwei Tagen besserte sich Ninas Zustand, und sie konnte mit ihrer Mutter und Widu ein paar Schritte gehen. Die Kinderstation war schön bunt eingerichtet, und es gab auch ein Spielzimmer und eine Leseecke.
Am Nachmittag kam Lulu mit Nunu und ihrer Mutter. Sie trug einen kleinen Blumenstrauß in der Hand.
»Die hat Nunu für dich gepflückt«, sagte sie, und Nunu nickte mit dem Kopf.
Widu erkannte zum ersten Mal, dass Nunu ein sehr schönes gesicht hatte. Vielleicht sah sie ihn zum ersten Mal richtig an, weil sie Hilfe brauchte, aber vielleicht war es auch die Trauer, die ihn von einem Schönling zu einem schönen sympathischen
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