Das Herz der Wueste
gar nicht schnell genug weitergehen.
Kamid jedoch vereitelte ihre Flucht. Er rief sie zu sich und stellte sie Akbar vor. Der nickte nur kurz und wandte das Gesicht ab, als Kamid hinzufügte, sie würde sich ebenfalls um ihn seine Gesundheit kümmern.
Wahrscheinlich findet er es demütigend, dachte Jenny und überlegte, ob sie nicht Mahmoud oder einen anderen der freiwilligen Helfer bitten sollte, als Pfleger zu fungieren. Sie würde mit Kamid darüber reden …
„Komm“, forderte er sie auf, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Wir gehen frühstücken.“
Er erhob sich zuerst und griff nach ihrem Ellbogen, um ihr auf die Beine zu helfen. Die Berührung genügte, und schlagartig kehrten all die heftigen Gefühle zurück, die sie auf das Mondlicht und die romantische Abendstimmung geschoben hatte. Im hellen Tageslicht – und nicht weniger heftig als gestern …
Kamid hingegen schien wegen der Küsse überhaupt nicht verlegen zu sein. Sicher hatte er sie längst vergessen oder, wie Männer das so gut konnten, aus seinem Kopf verbannt. Jenny wusste, dass sie nicht gerade zu den Frauen gehörte, die man einmal küsste und nie wieder vergaß, aber sie war trotzdem ein klein wenig beleidigt.
Bevor sie sich durch ein falsches Wort verriet, war es besser, ein Gespräch über die Arbeit anzufangen.
„Akbar ist es peinlich, sich von Frauen betreuen zu lassen, oder?“ Jenny achtete auf gebührenden Abstand, während sie nebeneinander zum Esszelt gingen. „Soll ich versuchen, ein paar Männer aufzutreiben, die abwechselnd bei ihm wachen?“
„Seine Freunde werden sich um ihn kümmern, aber wir müssen auf Anzeichen von Infektionen oder inneren Blutungen achten. Das kann ich übernehmen. Du hast recht, es ist ihm unangenehm, dass fremde Frauen ihn so sehen.“
Kamid klang abwesend, und sie fragte sich, ob er ihr etwas verschwieg.
Oder ob er … vielleicht … auch an die Küsse dachte …
Jenny unterdrückte ein Seufzen. Hör auf, schalt sie sich, es geht um Akbar, um sonst nichts. „Das hatte ich mir gedacht. Schön, solange sie nicht mit zwanzig Mann auftauchen und anfangen, ihre Wasserpfeifen zu rauchen, soll es mir recht sein.“
Sie hatten das Zelt erreicht, wo die Frauen bereits die Seitenplanen am Eingang aufrollten, um frische Luft hereinzulassen.
Kamid war abrupt stehen geblieben. Er starrte Jenny an. „Du bist eine seltsame Frau“, sagte er schließlich und trat beiseite, um ihr den Vortritt zu lassen.
Ach ja? Weil sie Abstand hielt und sich ihm nicht an den Hals geworfen und um mehr Küsse gebettelt hatte? Oder weil sie keine blubbernden Wasserpfeifen in ihrem Sanitätszelt haben wollte?
Sie blickte ihn über die Schulter an. „Ist das besser oder schlechter als streitbar?“
Kamid antwortete nicht. Etwas an ihrer Kopfbewegung hatte ihn an gestern Abend erinnert. Statt der Frau in der mausgrauen Tunika sah er Jenny in ihrem nachtblauen Gewand vor sich, das lange goldene Haar wie ein Seidentuch auf den Schultern.
„Streitbar, seltsam und eigensinnig“, sagte er dann, allerdings mehr zu sich selbst, um sich daran zu erinnern, dass er diese Eigenschaften nicht auf die Liste geschrieben hatte. Warum er dann an seine zukünftige Ehefrau dachte, war ihm schleierhaft.
Oder warum er Jenny geküsst hatte. Es wird nicht wieder vorkommen, nahm er sich vor. Vergiss, dass sie nach Rosen und Honig schmeckt …
Er konnte es sich nicht leisten, sich von einer Frau ablenken zu lassen!
Jenny sprach gerade mit einer der Helferinnen, nahm dankend ein Glas Tee entgegen und ging dann zu einem Tisch, auf dem sich Portionspackungen mit Frühstücksflocken und Müsli in allen Variationen stapelten.
„Was ist das?“ Erstaunt deutete er auf die Lebensmittel.
„Zu unseren großzügigsten Spendern gehört eine Firma für Frühstücksflocken“, erklärte sie lächelnd. „Allerdings stoße ich bei meinen Ansprechpartnern immer wieder auf taube Ohren, wenn ich betone, dass es sinnvoller, einfacher und für das Unternehmen billiger wäre, uns nur mit den Grundzutaten wie Weizen, Hafer und Mais zu beliefern. Aber vermutlich scheitert es daran, dass Getreidekörner keinen Markennamen tragen und die Firma auf den Werbeeffekt verzichten müsste.“
„Werbung? Sie wollen hier draußen für ihre Produkte werben? Keiner der Flüchtlinge hat Geld dafür, selbst wenn es einen Laden gäbe, wo sie die Sachen kaufen könnten.“
Jenny lachte. „Komm, ich will dir was zeigen.“ Sie fasste ihn bei der Hand und führte
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