Das Herz der Wueste
gekannt hatte, war eine andere geworden. Nicht besser, nicht schlechter, einfach anders …
„Du denkst immer noch an Akbar.“
Kamids Stimme holte sie in die Gegenwart zurück.
„Nein, das stimmt nicht.“ Mehr brauchte er nicht zu wissen.
Anscheinend war er anderer Ansicht. „Warum dann so ernst? Bei solch einem Sonnenuntergang runzelt man nicht die Stirn.“
Jenny hob die Hände und strich sich übers Gesicht.
„Sag es mir“, verlangte er leise, und im selben Moment wusste sie, dass sie es tun würde.
„Bei dem Unfall damals habe ich meinen Mann und unseren ungeborenen Sohn verloren. Akbar leiden zu sehen, bringt die Erinnerungen mit Macht zurück, auch wenn sein Kind am Leben ist …“
Kamid legte den Arm um sie und zog sie mit sich in den Schatten der Felsen. „Ist das der Grund, warum du durch die Welt ziehst? Warum du es nie lange an einem Ort aushältst?“ Er schob das Tuch beiseite und küsste sie aufs Haar. „Ist es der Schmerz, der dich immer weitertreibt?“
„Der Schmerz vergeht“, brachte sie schließlich hervor. „Mit der Zeit jedenfalls. Der Verlust tut nicht mehr bei jedem Atemzug weh, man kann wieder glückliche Paare sehen ohne das Gefühl, daran zu zerbrechen. Und irgendwann schafft man es, ein Kind in den Armen zu halten. Die Leere im Herzen bleibt, aber der Schmerz verblasst.“
Wie konnte es sein, dass ihre ruhigen Worte in ihm Schmerz hervorriefen? Unwillkürlich drückte Kamid sie enger an sich, von unbeschreiblichen Gefühlen erfüllt. Es schien ihm nur natürlich, Jenny zu küssen, nicht nur ihr Haar, auch ihre Wange, ihr Kinn und schließlich ihren Mund.
Sie reagierte leidenschaftlich, flüsterte zitternd seinen Namen, als Kamid den Kopf hob, um ihr in die Augen zu sehen. Dann schmiegte sie sich an ihn, bot ihm die Lippen zum Kuss.
Und er eroberte sie, diese weichen, verlockenden Lippen, kostete hungrig, während ihr Duft ihn fast um den Verstand brachte. Jeder Gedanke an die Arbeit, die vor ihm lag, verflüchtigte sich. Das Leben hielt unerwartet süße Überraschungen bereit …
Atemlos holte Jenny Luft. Dieser Kuss stellte alles in den Schatten, was sie je mit einem Mann erlebt hatte. In ihr loderte ein Feuer, heiß und verzehrend, und sie wusste, dass Küsse ihr bald nicht mehr genügen würden.
Aber sie waren nicht allein. Vereinzelt ertönten Stimmen im Lager, Mütter riefen ihre Kinder zu sich, Männer sprachen leise miteinander.
Jenny löste sich aus Kamids Armen und rückte ein wenig von ihm ab. „Wir hatten über Akbar gesprochen …“
Kamid gab sie widerstrebend frei und ließ die Hände nur langsam von ihren Schultern gleiten. „Nein, über dich“, sagte er mit heiserer Stimme, sodass Jenny sich fragte, ob ihn die Küsse genauso erschüttert hatten wie sie.
Sie schüttelte den Kopf, um sich wieder zu fangen. „Davor. Es ging um Akbar und seinen Sohn Hamid.“
Er wandte sich ab und stieß einen tiefen Seufzer aus. „Wie du meinst. Doch ich weigere mich, hier draußen darüber zu sprechen. Später im Zelt vielleicht. Hast du überhaupt eine Ahnung, wo das Kind ist? Bei welchem der kämpfenden Clans? Man kann nicht einfach hinmarschieren und nach ihm suchen, das wäre mehr als … blauäugig. So sagt man doch, oder?“
Sie nickte abwesend, hörte kaum hin, weil der friedliche Anblick und das herrliche Farbenspiel am Horizont nun doch eine besänftigende Wirkung auf sie ausübten. Endlich fielen die Anspannungen des Tages von ihr ab. An den Felsen gelehnt, die Beine lang ausgestreckt, genoss sie den Einbruch der Dämmerung und beobachtete still, wie sich das leuchtende Orange der Sanddünen zu mattem Rosa, Blau und Purpur veränderte.
„Was für ein paradiesischer Ort“, flüsterte sie, doch noch während sie es aussprach, hallte Kamids Bemerkung wie ein Echo in ihrem Kopf wider. … blauäugig. So sagt man doch, oder? Warum diese Unsicherheit?
Andererseits, er hatte nie behauptet, Engländer zu sein.
Ihr Verdacht, Kamid könnte ein Spion sein, gewann schlagartig neue Nahrung. Sie musterte ihn im schwindenden Tageslicht, behielt aber die beunruhigenden Gedanken für sich und fragte stattdessen, wie er den Tag verbracht hatte.
„Die Jungen haben mir alles gezeigt“, sagte er, und das mulmige Gefühl verstärkte sich. Wenn er nun tatsächlich hier war, um zu spionieren, nicht für die Regierung oder für Aid for All, sondern für eine der Kriegsparteien? Sollte er eine Möglichkeit auskundschaften, das Lager zu überfallen?
Und du hast
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