Das Herz der Wueste
mit heller Stimme, in schnellem Singsang auf ihn einredete, verzweifelt bemüht, ihn zu beruhigen.
„Was hat ihn so aufgebracht? Die Schmerzen oder dass er seinen Sohn verloren hat?“ Jenny folgte Kamid, als er zum Zeltausgang ging, nachdem das Mittel gewirkt hatte und Akbar wieder in tiefen Schlaf gesunken war.
Er schüttelte den Kopf. „Dass er am Leben ist“, erklärte er ruhig. „Er sieht sich als Versager, weil es ihm nicht gelungen ist, Hamid zu finden. Wir hätten ihn sterben lassen sollen, hat er geschrien, was sei ein Mann ohne seinen Sohn.“
„Sind Söhne so wichtig?“
Überrascht blickte er sie an. „Natürlich. In jeder Familie wird ein Sohn gebraucht, der sich um die Frauen kümmert, wenn der Vater stirbt. Heutzutage mag das antiquiert klingen, aber der Wunsch, einen männlichen Erben zu haben, ist in den Herzen und Köpfen der Wüstenvölker tief verwurzelt.“ Er schwieg kurz, und sein Gesicht verdüsterte sich. „Aber ich glaube, dass Akbar seinen Sohn sehr liebt. So sind nicht alle Väter. Manchen genügt es, einen oder mehrere zu zeugen, und damit ist die Pflicht getan.“
Dachte er an seinen eigenen Vater, oder hatte sie sich den kurz aufblitzenden Schmerz in seinen Augen nur eingebildet? Jenny wollte die Hand ausstrecken, ihn berühren, um zu trösten, aber sie hielt sich zurück. Im Moment ging es um Akbar, nicht um Kamids mysteriöse Vergangenheit.
„Wenn er sich aufgibt, wie sollen wir ihn wieder gesund machen?“ Plötzlich hatte sie einen Einfall. „Wir müssen den Jungen holen!“
Kamid wandte sich ihr zu. Ihre Miene verriet Entschlossenheit, doch sein Blick fiel auf ihr Haar, das im Mondschein wie Seide schimmerte. Einige Strähnen hatten sich aus dem Knoten gelöst und umrahmten ihr liebreizendes Gesicht. Sie trug ein langes, alles verhüllendes Gewand, und dennoch erahnte er darunter ihre schlanke Gestalt. War Jenny sich ihrer Schönheit bewusst?
„Können wir nicht verhandeln? Wissen Sie, ob die Krieg führenden Clans irgendetwas brauchen? Lebensmittel oder vielleicht Medikamente? Selbstverständlich würde ich ihnen keine Waffen verschaffen, aber es muss etwas geben, das wir ihnen zum Tausch für den Jungen anbieten können.“
„Entschuldigung, ich war abgelenkt.“ Welch eine Untertrei bung! „Ist das Ihr Ernst? Wollen Sie wirklich mit den Kerlen verhandeln, die diesen Mann fast zu Tode geprügelt haben?“
„Ich meine ja nicht unbedingt Sie und mich, aber Sie sprachen von Unterhändlern, die in dem Konflikt vermitteln. Vielleicht sollten wir Kontakt mit ihnen aufnehmen. Oder ich gehe als Vertreterin von …“
„Vergessen Sie’s.“ Kamid fand, dass er bemerkenswert ruhig klang, obwohl er kurz davor war zu explodieren. „Sie werden keinen Fuß über die Grenze setzen. Ich will nicht sagen, dass diese Männer Wilde sind, aber sie befinden sich im Krieg. Freundliche Rücksichtnahme und moralische Werte können Sie nicht erwarten.“ Er legte ihr die Hände auf die Schultern und sah ihr eindringlich in die Augen. „Sie gehen nicht, haben Sie mich verstanden?“
Ein verschmitztes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Zu Befehl, Sir!“, antwortete sie und salutierte.
Jetzt reichte es ihm. „Wollen Sie mich verspotten?“, fragte er sanft und trat so nah an sie heran, dass ihre Körper sich fast berührten. „Sie nennen mich Sir, während Sie schon heimlich überlegen, wie Sie es anstellen, den Jungen herzuholen?“ Kamid strich ihr über die Wange. „Ich sehe doch, wie es in Ihrem Kopf arbeitet …“ Er griff ihr ins Haar, und der Knoten löste sich, seidige goldene Strähnen fielen in weichen Wellen über ihren Rücken.
„Werden Sie Ihre Schönheit einsetzen, um mich zu umgarnen? Damit ich Ihnen helfe, Ihren Plan durchzuführen?“
Er war nahe genug, um die goldenen Pünktchen in ihren braunen Augen zu erkennen, und ihre Brüste hoben und senkten sich deutlich unter dem nachtblauen Gewand, als sie schneller atmete.
„Vielleicht bieten Sie mir als Bezahlung einen Kuss an“, fuhr er leise fort, während er beide Hände in ihr Haar schob, um es auf ihren Schultern auszubreiten. „Glauben Sie, dass es funktioniert?“
Verhext, dachte sie, als sie benommen seiner heiseren Stimme lauschte, ich bin verhext. Dabei taten das doch nur Hexen und nicht große, starke Fremde im Mondschein. In der Wüste sollte es Peris geben, anmutige Elfen. Vielleicht woben sie ihren Zauber aus Mondlicht, verstrickten Menschen in magische Momente, brachten sie dazu,
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