Das Herz der Wueste
Kamid stellte sich vor, wie sie in der Wanne lag, und obwohl er sie noch nie nackt gesehen hatte, sah er sie schlank und biegsam vor sich, während die Schaumbläschen, von denen sie gesprochen hatte, ihrer hellen Haut einen verführerischen Schimmer verliehen …
„Vielen Dank.“ Er starrte sie an. Sicher bedankte sie sich nicht dafür, dass er sie sich nackt vorgestellt hatte! „Für das Wasser“, fügte sie hinzu und wollte ihm den Kanister abnehmen.
Kamid stellte ihn ab, um zu vermeiden, dass ihre Hände sich wieder berührten, und ging. Aber sein Fluchtweg war kurz. Das Zelt konnte er nicht verlassen, schließlich hatte er versprochen, auf Akbar zu achten. Also legte er sich neben den Verletzten, versuchte, nicht auf das leise Plätschern zu hören, als Jenny Wasser in die Schüssel goss, nicht auf das Rascheln von Kleidung, während sie sich auszog.
Ein zarter Duft wehte zu ihm herüber, mischte sich mit dem von Desinfektionsmitteln. Ist sie doch so eitel, dass sie Parfüm benutzt?, fragte er sich. Unwillkürlich drehte er den Kopf zum Teppich, der ihren Bereich abtrennte, und sah an der Zeltwand ihre Silhouette. Schlank, biegsam, anmutig, wie er sie sich vorgestellt hatte … Beschämt wurde ihm bewusst, was er da tat, und er wandte sich rasch ab.
Dennoch überlegte er, wie er ihr zu verstehen geben sollte, sie möge die Lampe woanders hinhängen. Es war nicht ausgeschlossen, dass andere Männer hier übernachteten.
Jenny schlüpfte in das langärmelige, bis zu den Knöcheln reichende mitternachtsblaue Seidengewand, das sie nachts trug, rollte ihren Schlafsack aus und setzte sich dann darauf, um ihren Zopf zu lösen. Tagsüber bedeckte sie ihr Haar mit einem Tuch, einerseits, um sich den Sitten anzupassen, andererseits, weil sie es bei den knappen Wasservorräten nicht so oft waschen konnte. Also begnügte sie sich damit, es jeden Abend gründlich zu bürsten, um Sand und Staub zu entfernen.
Am vernünftigsten wäre es, wenn sie es kurz tragen würde. Doch obwohl sie überallhin ging, wohin Aid for All sie auch schickte, so war sie nicht bereit, sich die Haare abzuschneiden, die ihr fast bis zur Taille reichten.
Ihr war klar, dass Stolz und eine gewisse Eitelkeit dahintersteckten, aber durfte eine Frau sich nicht ein paar kleine Laster gönnen? Wie die Rosenseife, die sie auf ihren Reisen immer dabeihatte. Möglich, dass sie sich mit schmutzigem Wasser waschen musste, aber der Rosenduft verwöhnte ihre Sinne und gab ihr das Gefühl, weiblich zu sein.
Wie ihr Haar …
Mit gleichmäßigen Strichen bürstete sie die langen Strähnen und genoss die monotone Bewegung, die wohltuende Massage auf der Kopfhaut. Trotzdem konnte sie nicht richtig entspannen. Geräusche hinter dem Teppich verrieten, dass sie nicht allein im Zelt war. Da drüben lagen ein Patient, seine Frau und ein Mann, der noch keinen Tag hier war und sich trotzdem öfter in ihre Gedanken schlich, als ihr lieb war. Ein Mann, der sie daran erinnerte, dass sie eine Frau war …
Nicht, dass er mit ihr geflirtet hatte, aber seine Nähe, seine Stimme, die männliche Ausstrahlung, die sie fast körperlich spürte, weckten ungewohnte Gefühle in ihr. Sie hätte nicht geglaubt, jemals wieder dafür empfänglich zu sein.
Ein verzweifelter Schrei riss sie aus ihren Träumereien. Augenblicklich war alles andere vergessen. Jenny sprang auf und eilte nach vorn, wand ihr Haar dabei rasch zu einem Knoten im Nacken.
Akbar warf sich hin und her, schrie Worte, die Jenny nicht verstand. Kamid beugte sich über ihn, hielt ihn fest und redete beruhigend auf ihn ein, allerdings ohne viel Erfolg.
„In dem Kasten, den ich mitgebracht habe, ist noch etwas Pethidin. Können Sie ihm eine Spritze geben?“, bat Kamid, als Jenny neben ihm auf die Knie sank.
Sekunden später injizierte sie, während Lia, die von den Schreien wach geworden war, ebenfalls versuchte, ihren wütenden Mann zu besänftigen.
Durchlebte er die demütigenden Hiebe von Neuem, oder waren es die Schmerzen?
Jenny blickte zu Kamid, wollte ihn fragen, hielt sich aber zurück. Da hörte sie aus dem Gebrüll ein Wort heraus, immer und immer wieder, und plötzlich begriff sie: Akbar schrie nicht vor Schmerzen, sondern nach seinem Sohn.
Eine riesige Faust umklammerte ihr Herz, holte Erinnerungen an den eigenen Verlust hervor. Diesen Schmerz konnte kein Medikament betäuben, sondern allein die Zeit, die alle Wunden heilte …
Tränen strömten Lia übers Gesicht, als sie ihren Mann umarmte und
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