Das Herz der Wueste
wieder neben ihn, als sie zurückkam. „Du bist nicht Kamid Rahman, sondern Kamid … wie war der Name?“
„Kamid Rahman al’Kawali.“
Stumm wiederholte sie den Namen. Der Klang gefiel ihr. Aber ihr Hoffnungsfunken war endgültig in kalter Asche versunken. Selbst wenn Kamid sie lieben sollte – und sie hatte nicht den geringsten Anhaltspunkt, das zu vermuten –, er könnte sie niemals heiraten. Seine Ehe ging nicht nur ihn und seine Braut etwas an, sondern ein ganzes Volk, und abgesehen davon brauchte auch er Söhne, um die Nachfolge zu sichern. Hatte er ihr nicht erzählt, wie wichtig Söhne in seiner Kultur waren …?
Es tat unbeschreiblich weh, sich einzugestehen, dass sie nicht die geringste Chance hatte, bei ihm zu bleiben. Und sie durfte es sich nicht einmal anmerken lassen.
Sie wappnete sich, schürte ihren Ärger, um nicht zu zerbrechen.
„Hättest du mir das alles nicht von Anfang an sagen können? Musstest du mich täuschen?“
Kamid seufzte. „Mein Vater war lange krank, und dadurch ist das Land stark vernachlässigt worden. Wir sind reich, waren es schon, bevor hier Erdöl gefunden wurde, weil wir seit Jahrhunderten erfolgreich Handel treiben. Und wir waren stolz darauf, unabhängig zu sein. Du kannst dir also sicher vorstellen, dass ich überrascht und enttäuscht war, als ich herausfand, dass eine ausländische Hilfsorganisation in meinem Land arbeitet.“
„Aber du hast hier gelebt und gearbeitet. In der Stadt zwar, doch du hättest davon wissen können.“
Er schüttelte den Kopf. „Ich habe meinen Vater kaum gekannt, und obwohl er krank war, hat er über seine Brüder und ihre Söhne die Fäden in der Hand gehalten. Er hatte drei Frauen, die ihm eine Tochter nach der anderen schenkten, aber keinen Sohn. Erst unsere Mutter, seine vierte Ehefrau, brachte männliche Zwillinge zur Welt. Damit hatte sie ihren Zweck erfüllt, und er widmete sich wieder seiner Lieblingsfrau, der dritten. Meine Mutter lebte allein in ihren Gemächern, und wir wurden von den Frauen aufgezogen, die ihr zugeteilt waren, bis er uns nach England schickte.“
Er biss sich auf die Lippen. „Später beschlossen Arun und ich, Medizin zu studieren, eine klare Rebellion gegen unseren Vater, der uns für die Familiengeschäfte vorgesehen hatte. Das belastete unser Verhältnis zusätzlich, und wir haben in der Hauptstadt wie normale Bürger gelebt, als Krankenhausärzte, nicht als Scheichsöhne, von denen einer einst den Thron erben würde.“
Jenny dachte an ihre Familie, ohne deren Liebe und Unterstützung sie Davids Tod und den ihres ungeborenen Kindes nie verkraftet hätte. Ihre Kindheit war von Lachen und Fröhlichkeit erfüllt und von dem Wissen geprägt worden, dass sie geliebt wurde.
Ihr Herz schwoll vor Mitgefühl für die beiden Jungen, die diese Geborgenheit nie erfahren hatten …
„Als unser Vater starb, hätten Arun und ich es vorgezogen, wenn ein Onkel seinen Platz eingenommen hätte. Doch berichteten uns Leute von beunruhigenden Zuständen überall im Land. Jemand erzählte von Aid for All, andere wussten von Regierungsmitteln, die in die Taschen von Angehörigen der Scheichfamilie flossen, statt gerecht unter dem Volk verteilt zu werden. Wir konnten nicht einschätzen, ob nur ein Onkel hinter diesen Machenschaften steckte oder sich alle gemeinsam bereichern wollten. Unter diesen Vorzeichen kam es natürlich nicht infrage, unser Erbrecht abzutreten.“
Er sprach nicht weiter, sondern suchte ihren Blick. Jenny hoffte, dass er im Dämmerlicht nicht in ihren Augen lesen konnte, wie ihr zumute war.
„Ich bin hierhergekommen, um mir die Arbeit von Aid for All anzuschauen und herauszufinden, was wir für die Menschen noch tun können. Danach wollte ich weitere Dörfer besuchen, mir ein umfassendes Bild verschaffen. Währenddessen sieht Arun sich in der Hauptstadt um.“
„Auch inkognito?“
„Nein. Dafür ist er, wie ich auch, zu bekannt. Außerdem werden ihm gerade sein Name und seine Position den nötigen Einfluss verschaffen, um wichtige Türen zu öffnen. Bei Bankern und Regierungsvertretern zum Beispiel. Doch draußen auf dem Land reagieren die Leute anders auf Angehörige des Herrscherhauses, vor allem, wenn sie glauben, die Familie des Scheichs habe sie lange vernachlässigt. Deshalb wollte ich lieber unerkannt bleiben. Trotzdem muss ich selbst sehen, was los ist, da ich den Berichten nicht trauen kann. Es gibt immer wieder schwarze Schafe, die die unsicheren Zeiten nutzen, um daraus
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