Das Herz der Wueste
wäre ihr die Distanz nicht aufgefallen? Dass das Gespräch über andere Frauen nicht stattgefunden hatte? Am besten, sie wechselte das Thema.
„Hast du während des Studiums zu Hause gewohnt, dass du nicht gelernt hast, dich selbst um Kochen, Einkaufen und solche Sachen zu kümmern?“
„Ich habe zuerst in London studiert und danach hier in Zaheer. Meine Familie besitzt in beiden Städten Häuser und hat natürlich Personal. Und deshalb … Nein, ich habe nie kochen gelernt.“
Natürlich Personal? Wer hatte das schon heutzutage?
Sehr, sehr, sehr reiche Menschen!
Der Hoffnungsfunken erlosch von selbst. Superreiche heirateten untereinander, nicht einen Niemand aus Brisbane, Australien.
Kamid ahnte, dass er Jenny endlich reinen Wein einschenken musste. Wie könnte er eine Frau belügen – oder auch nur täuschen –, die sich ihm bedingungslos mit Leib und Seele hingegeben, ihn mit ihrem Liebesspiel verwöhnt hatte? Ihr Duft haftete an seiner Haut, und ihre kehligen Lustschreie klangen ihm noch immer in den Ohren. Allein die Erinnerung erregte ihn wieder, trotz der Kälte, die jetzt zwischen ihnen herrschte.
„Komm, setz dich zu mir“, bat er. „Ich werde mich vorerst mit Tee und Brot begnügen, und später zeigst du mir, wie man Eintopf kocht.“
Zögernd trat sie zu ihm, reichte ihm Tee und ein Stück Fladenbrot und ließ sich neben ihm nieder.
„Und vielleicht auch, wie man Brot backt“, fügte er in neckendem Ton hinzu, aber sie lächelte nicht. Anscheinend war ihr nicht danach zumute.
„Jenny …“, begann er, unterbrach sich aber gleich wieder.
Was sollte er sagen?
Wie ihr seine Lage erklären?
Sollte er mit seinem Vater anfangen, mit seiner Krankheit, damit, dass es mit seinem Heimatland stetig bergab gegangen war?
Kamid wollte nicht mit Schuldzuweisungen beginnen und erst recht niemandem die Verantwortung für seine Täuschung zuschieben …
„Jenny.“ Er nahm einen neuen Anlauf. „Du hattest Grund, mir zu misstrauen.“
Sie sprang so abrupt auf, dass der Tee aus ihrem Glas spritzte.
„Setz dich hin“, bat er. „Lass mich ausreden.“
Sie tat es, aber sie zitterte, und er hätte sie gern getröstet, sie gestreichelt, bis sie sich beruhigt hatte. Er hätte sie gern in den Armen gehalten.
Für immer.
Sein letzter Gedanke schockierte ihn zutiefst.
Für immer, das bedeutete Liebe.
Ausgeschlossen, er durfte sich nicht in Jenny Stapleton verlieben! Nicht jetzt, während es in seinem Land drunter und drüber ging, wenn sein Volk hoffnungsvoll auf den neuen Herrscher blickte. Was würden die Menschen denken, wenn der zukünftige Scheich von Zaheer eine Ausländerin heiratete? Er würde an Glaubwürdigkeit und Respekt verlieren. Außerdem suchte seine Mutter schon nach einer passenden Braut. Egal, wie diskret sie dabei vorging, es würde nicht lange verborgen bleiben.
„Willst du es mir erklären oder nicht?“
Ihre Stimme klang zornig. Kamid wurde klar, dass er sich zu lange seinen Gedanken überlassen hatte.
„Ich hatte nichts Böses vor, als ich ins Flüchtlingslager kam“, sagte er, „und was meinen Namen betrifft, so stimmt er in gewissem Sinn, da ich seit meinem siebten Lebensjahr einen Pass auf den Namen Kamid Rahman besitze. Damals schickte unser Vater meinen Zwillingsbruder Arun und mich auf ein englisches Internat. Mein voller Name lautet Kamid Rahman al’Kawali.“
„Du bist also nicht der, für den du dich ausgegeben hast, sondern der, der du seit deinem siebten Lebensjahr nicht mehr bist?“
Kamid suchte ihren Blick. Scherzte sie? Nein, ihr Gesicht blieb ernst, die braunen Augen blitzten. Keine Frage, sie war wütend.
„Soll das eine Rechtfertigung sein oder eine Erklärung?“, fuhr sie fort. Ihre hübschen Lippen, leicht geschwollen von seinen Küssen, waren fest aufeinandergepresst.
„Der Beginn einer Erklärung. Mein Vater hatte unsere Namen geändert, weil er eine Entführung befürchtete, falls unsere wahre Identität bekannt würde. Nicht dass er uns vermisst hätte, er war schon alt, als wir geboren wurden, und wir hatten kaum Kontakt zu ihm. Aber erst seine vierte Frau gebar ihm die Söhne, die er brauchte, um die Erbnachfolge zu sichern, und deshalb war er auf der Hut.“
„Nachfolge?“, echote sie.
„Auf den Herrscherthron unseres Landes, drüben, jenseits der Grenze. Mein Vater war der Scheich, der vor Kurzem verstorben ist.“
„Moment mal.“ Jenny stand auf, um das leere Teeglas auf den Tisch zu stellen, setzte sich aber nicht
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