Das Herz des Südens
Kaffeetrinken führte Albany Josie und ihre Anstandsdame durch die Rue Esplanade zurück zu Tante Marguerites Stadthaus. Sobald sie über die Schwelle getreten waren, empfahl er Josie, sich auszuruhen, bevor zum Essen geläutet wurde. »Sie dürfen sich nicht überanstrengen«, sagte er.
Josie unterdrückte die patzige Antwort, dass sie doppelt so weit und doppelt so schnell hätte gehen können, wenn er nicht darauf bestanden hätte, die Schiffe auf dem Fluss zu zählen.
»Vielen Dank, Albany«, sagte sie stattdessen. »Schön, dass ich heute ein wenig ausgehen konnte.«
Während sie die Treppe hochstieg, nahm sie ihre Haube ab, und kurz bevor sie ihr Zimmer erreichte, hörte sie ihre Tante rufen.
»Josie? Komm doch bitte mal her, Liebes.«
Sie warf die Haube auf den Schreibtisch von Tante Marguerite.
»Nun, hattest du einen schönen Spaziergang mit deinem Américain? Was für ein beeindruckender Mann! Und so gut aussehend! Du hast wirklich Glück, mein Kind.«
Josie seufzte. »Was sagst du dazu, wir haben ein Schiff gesehen, das aus Madagaskar kam. Das ist eine Insel vor der Ostküste von Afrika, und von dort werden Waren wie Gewürznelken, Kaffee, Vanille und Sisal exportiert.«
Marguerite lächelte. »Geh nicht zu hart mit ihm ins Gericht, Josie. Es können doch nicht alle nur Dichter sein.« Sie hielt ein raffiniertes Kleid vor sich hin. »Was meinst du, soll ich das cremefarbene Seidenkleid morgen Abend anziehen?« Sie hatte ein paar Freunde zu einem Büffet eingeladen, nichts Besonderes, aber Kerzenlicht und Wein waren immer gut für Damen eines gewissen Alters. Und sie wählte ihre Kleider und ihren Schmuck mit großer Sorgfalt aus.
Josie fragte sich, ob Alphonse, Tante Marguerites Neffe von der Seite ihres Mannes, auch kommen würde. Beim letzten Mal hatte er großartig ausgesehen mit seinen Kniebundhosen und der flaschengrünen Weste. Andererseits hoffte sie, dass Onkel Sandrines Bruder, der alte Junggeselle Monsieur Breton, nicht da sein würde. Seine Aufmerksamkeiten waren ihr beim letzten Mal ein bisschen zu viel geworden, und sie mochte weder seine gelben Zähne noch den Geruch seines Eau de Toilette.
Am nächsten Abend zog Josie ihr zweitbestes Gesellschaftskleid an. Es war natürlich schwarz, aber immerhin im neuesten Stil geschnitten und mit ausgesprochen schönen schwarzen Seidenbändern verziert. Sie hatte sich die Haare zu Locken gedreht und etwas Rouge auf die Wangen aufgetragen, und so war sie von Kopf bis Fuß wirklich hübsch.
Tante Marguerites Salon funkelte im Kerzenschein. Der zweite Salon war ausgeräumt worden, um eine Tanzfläche zu schaffen, und die Musiker spielten schon leise, während Tante Marguerite ihre Gäste begrüßte. Das Speisezimmer war zu klein, um so viele Menschen an einem Tisch aufzunehmen, und so hatte man allerlei Delikatessen auf dem Tisch aufgebaut, damit die Gäste sich den Abend über selbst bedienen konnten.
Josie saß auf dem gelben Damastsofa, ihre Röcke sittsam um sich herum ausgebreitet. Cousine Violette leistete ihr Gesellschaft. Sie war zwei Jahre älter als Josie und allmählich etwas verzweifelt auf der Suche nach einem Verlobten. Schon zwanzig Jahre alt und noch kein Verehrer in Sicht! Was machte sie nur falsch? Die Herren beachteten sie kaum. Vielleicht lag es an der langen Nase, dachte Josie, aber andererseits fanden auch Mädchen einen Mann, die viel hässlicher waren als Violette.
Neffe Alphonse betrat den Salon. Sobald er sie erblickte, kam er zu ihr, um ihr seine Aufwartung zu machen. Mit einer bezaubernden Verbeugung begrüßte er sie und Violette, wie es der Anstand gebot, dann zog er sich einen Stuhl heran und begann, ihnen von dem Pferderennen zu erzählen, das am Morgen stattgefunden hatte. Er brachte Josie zum Lachen, als er beschrieb, wie sein »todsicherer Tipp« im zweiten Rennen immer weiter und weiter zurückgefallen war.
Violette bewegte träge ihren Fächer, als habe sie sich noch nie im Leben so sehr gelangweilt. Vielleicht war das genau das Problem, dachte Josie. Ihre Cousine war so langweilig, weil sie selbst alle anderen Menschen langweilig fand.
Josie erzählte Alphonse ausführlich von ihrem Wallach zu Hause und von ihrem Reitunfall während ihres Aufenthalts bei Abigail. Er schwor, er hätte sie vom Rücken des durchgehenden Pferdes gerettet, bevor sie den Erdboden berührt hätte. Das gut gelaunte Funkeln in seinen Augen machte seine Aufschneiderei zu einem großen Spaß – er war ganz einfach lustig und
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