Das Herz ihrer Tochter
Organspender
zu werden, religiös motiviert ist?«
»Ja«, sagte ich. »Genau.«
»Was für eine Religion praktiziert Shay
Bourne denn dann?«, fragte Greenleaf.
»Er benennt sie nicht.«
»Sie sagten vorhin, er sei kein
praktizierender Katholik. Ist er dann praktizierender Jude?“
»Nein.“
»Muslim?“
»Nein.“
»Buddhist?“
»Nein«, sagte ich.
»Praktiziert Mr Bourne irgendeine Form
von organisierter Religion, die dem Gericht möglicherweise nicht bekannt ist,
Father?«
Ich zögerte. »Er praktiziert eine
Religion, aber keine organisierte.«
»Welche denn?
Bourneismus?«
»Einspruch«, warf Maggie ein. »Wenn Shay
Bourne sie nicht benennen kann, wieso müssen wir das dann?“
»Stattgegeben«, sagte Richter Haig.
»Um das der Deutlichkeit halber noch
einmal zusammenzufassen«, sagte Greenleaf. »Shay Bourne praktiziert eine Religion,
die Sie nicht benennen können, und zitiert aus einem Evangelium, das nicht in
der Bibel steht... und doch wurzelt sein Wunsch, Organspender zu werden, auf
der Vorstellung religiöser Erlösung? Haben Sie nicht den Eindruck, Father
Michael, dass das alles ein kleines bisschen abwegig klingt?«
Er drehte sich um, als ob er gar nicht
mit einer Antwort von mir rechnete, aber so leicht wollte ich ihn nicht
davonkommen lassen. »Mr Greenleaf«, sagte ich, »die Welt ist voller Erfahrungen,
die wir nicht richtig benennen können.«
»Wie bitte?«
»Die Geburt eines Kindes zum Beispiel.
Oder der Tod eines Elternteils. Sich verlieben. Worte sind wie Netze - wir
hoffen, dass sie das abdecken, was wir meinen, aber wir wissen, so viel Freude
oder Trauer oder Erstaunen können sie gar nicht zum Ausdruck bringen. Gott zu
finden gehört auch dazu. Wenn es einem widerfährt, weiß man, was das für ein
Gefühl ist. Aber versuchen Sie mal, das einem anderen Menschen zu vermitteln -
mit Sprache kommt man da nicht weit«, sagte ich. »Ja, es klingt abwegig. Und
ja, er ist der einzige Anhänger seines Glaubens. Und nein, seine Religion hat
keinen Namen. Aber ... ich glaube ihm.« Ich sah Shay an, bis er meinen Blick
erwiderte. »Ich glaube.«
JUNE
Wenn Ciaire wach war, was immer seltener
vorkam, sprachen wir nicht über das in Aussicht gestellte Herz für sie oder ob
sie es überhaupt nehmen würde oder nicht. Sie wollte nicht darüber sprechen,
und ich hatte Angst davor. Statt dessen plauderten wir über unverfängliche
Dinge: wer aus ihrer Lieblings-Realityshow herausgewählt worden war; wie das
Internet funktionierte; ob ich Mrs Walloughby daran erinnert hatte, Dudley
zweimal am Tag zu füttern, nicht dreimal, weil er auf Diät war. Wenn Ciaire
schlief, hielt ich ihre Hand und erzählte ihr von der Zukunft, die ich mir
erträumte. Ich erzählte ihr, wir würden nach Bali reisen und einen Monat lang
in einer Pfahlhütte im Meer wohnen. Ich erzählte ihr, ich würde Barfußwasserski
lernen und sie würde das Boot steuern. Wir würden den Mount Katahdin besteigen,
uns ein zweites Mal Ohrlöcher stechen lassen, lernen, selbst Schokolade zu
machen. Ich stellte mir vor, wie sie vom sandigen Grund der Bewußtlosigkeit
nach oben schwamm, durch die Oberfläche brach, zu mir ans Ufer watete.
Eines Nachmittags, als Ciaire wieder
einmal einen medikamentös bedingten Marathonschlaf hielt, lernte ich einiges
über Elefanten. Als ich am Morgen nach unten in die Krankenhauscafeteria
gegangen war, um einen Kaffee zu trinken, kam ich in der Lobby wie jeden Tag in
den vergangenen zwei Wochen an einer Bank, einem Buchladen und einem Reisebüro
vorbei. Heute jedoch wurde ich zum ersten Mal fast magnetisch von einem Plakat
im Schaufenster des Reisebüros angezogen: ERLEBEN SIE AFRIKA, stand
darauf.
Die gelangweilte junge Frau, die an einem
Schreibtisch saß und offenbar mit ihrem Freund telefonierte, als ich
hereinspaziert kam, drückte mir lediglich einen Katalog in die Hand, statt sich
die Mühe zu machen, mir das Reiseziel mit eigenen Worten ans Herz zu legen. »Wo
waren wir?«, hörte ich sie ins Telefon sagen, als ich wieder ging, und dann
kicherte sie. »Mit den Zähnen?«
Oben an Claires Bett studierte ich Fotos
von Hotelzimmern mit Betten so breit wie das Meer, bezogen mit weißer Wäsche
und umfangen von einem Netz aus Gaze. Von Duschen im Freien draußen im Busch,
sodass man genauso nackt war wie die Tiere. Von Landrovern und afrikanischen
Rangern, jeder mit einem blitzenden Lächeln im Gesicht.
Und die Tiere! Geschmeidige Leoparden mit
ihren Sonnenflecken; eine Löwin mit
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