Das Herz ihrer Tochter
aus, Euer Ehren: Die ACLU hat diesen Antrag nicht gestellt,
weil es ein berechtigtes und ernsthaftes Anliegen ist, sondern um im
Zusammenhang mit der ersten Exekution, die seit neunundsechzig Jahren in New
Hampshire stattfindet, einen Affenzirkus zu veranstalten.« Er machte eine
ausladende Armbewegung in Richtung der voll besetzten Zuschauerbänke. »Und Sie
alle sind der Beweis dafür, dass es bereits funktioniert hat.«
Greenleaf blickte auf Shay. »Niemand
nimmt die Todesstrafe auf die leichte Schulter, am wenigsten der Commissioner
der Strafvollzugsbehörde des Staates New Hampshire. Das Gericht hat nach der
Verurteilung von Shay Bourne entschieden, dass die verhängte Strafe per
tödlicher Injektion vollstreckt werden soll. Und um genau das zu tun - mit
Würde und Respekt gegenüber allen beteiligten Parteien -, hat der Staat New
Hampshire bereits die erforderlichen Vorbereitungen getroffen. Halten wir uns
die Fakten vor Augen. Ganz gleich, was Ms Bloom sagt, keine anerkannte
Religion verlangt eine Organspende nach dem Tod, um das Jenseits zu erreichen.
Laut seiner Akte ist Shay Bourne in Pflegefamilien aufgewachsen, weshalb er
nicht behaupten kann, in einer religiösen Tradition erzogen worden zu sein, die
Organspenden unterstützt. Falls er zu einer Religion konvertiert ist, die
inzwischen behauptet, Organspende gehöre zu ihren Lehren, so erklären wir das
hier vor Gericht als puren Nonsens.« Greenleaf hob die Hände. »Wir wissen, Sie
werden sich die Zeugenaussagen aufmerksam anhören, Euer Ehren, aber Tatsache
bleibt, dass die oberste Strafvollzugsbehörde nicht verpflichtet ist, sich den
Launen jedes irregeleiteten Häftlings zu fügen - schon gar nicht eines
Häftlings, der ein Kind und einen Polizeibeamten brutal ermordet hat. Lassen
Sie nicht zu, dass Ms Bloom und die ACLU aus einer so ernsten Angelegenheit ein
Spektakel machen. Ermöglichen Sie es dem Staat New Hampshire, die verhängte
Strafe so würdevoll und reibungslos wie möglich zu vollstrecken.«
Ich warf Shay einen Blick zu. Auf seinem
Notizblock hatte er seine Initialen und das Logo der Band AC/DC hinzugefügt.
Der Richter rückte seine Brille zurecht
und sah mich an. »Ms Bloom«, sagte er, »Ihr erster Zeuge bitte.«
MICHAEL
Sobald ich aufgefordert wurde, in den
Zeugenstand zu treten, suchte ich Blickkontakt mit Shay. Er starrte mich an,
stumm, ausdruckslos. Der Gerichtsdiener kam zu mir, eine Bibel in der Hand.
»Schwören Sie, die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit und nichts als die
Wahrheit, so wahr Ihnen Gott helfe?«
Der Ledereinband des Buches war fein gemasert
und schwarz, glatt gewetzt von den Handflächen Unzähliger, die vor mir diesen
Eid gesprochen hatten. Ich musste daran denken, wie oft ich schon eine Bibel
als Trostspender gehalten hatte, eine Schmusedecke für den Mann des Glaubens.
Ich dachte immer, dass in ihr alle Antworten standen; jetzt fragte ich mich, ob
überhaupt die richtigen Fragen gestellt worden waren. So wahr mir Gott helfe, dachte
ich.
Maggie hatte die Hände fest vor dem
Körper verschränkt. »Nennen Sie bitte Ihren Namen und Ihre Adresse fürs
Protokoll.«
»Michael Wright«, sagte ich und räusperte
mich. »High Street, Nummer drei-vier-zwei-zwei, in Concord.«
»Was machen Sie beruflich?«
»Ich bin Priester in St. Catherine.«
»Wie wird man Priester?«, fragte Maggie.
»Man besucht einige Jahre das Seminar,
dann wird man Diakon und sammelt Praxiserfahrung unter der Anleitung eines
Gemeindepfarrers. Schließlich erhält man die Priesterweihe.«
»Wann war Ihre Priesterweihe, Father
Michael?«
»Vor zwei Jahren«, sagte ich.
Meine Eltern waren zu der Zeremonie
gekommen und hatten mit strahlenden Gesichtern von der Kirchenbank aus
zugesehen. Ich war mir damals nicht nur sicher gewesen, dass es meine Berufung
war, Jesus Christus zu dienen, sondern auch - wer Jesus Christus war.
»Trifft es zu, dass Sie im Rahmen Ihrer
Tätigkeit in St. Catherine einen Häftling namens Shay Bourne seelsorgerisch betreuen?“
»Ja.«
»Und ist Shay Bourne heute in diesem
Gerichtssaal?“
»Ja.«
»Genauer gesagt, er ist der Kläger in
diesem Fall«, sagte Maggie, »und sitzt deshalb mit mir am Tisch der
Klagevertretung, ist das richtig?«
»Ja.« Ich lächelte Shay an, der die Augen
senkte.
»Haben Sie im Verlauf Ihrer
Priesterausbildung mit Gemeindemitgliedern über deren religiöse Überzeugungen
gesprochen?«
»Selbstverständlich.«
»Gehört es zu Ihren Aufgaben als
Priester, Gott
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