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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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anderen Menschen näherzubringen?“
    »Ja.«
    »Auch ihren Glauben an Gott zu
vertiefen?“
    »Unbedingt.«
    Sie wandte sich an den Richter. »Ich
beantrage, Father Michael als Experten für spirituellen Rat und religiöse
Überzeugungen zuzulassen, Euer Ehren.«
    Der andere Anwalt sprang auf.
»Einspruch«, sagte er. »Bei allem Respekt, ist Father Michael Experte für den
jüdischen Glauben? Den methodistischen Glauben? Den muslimischen?«
    »Stattgegeben«, sagte der Richter.
»Father Michael darf nicht als Experte für andere religiöse Überzeugungen als
den katholischen Glauben aussagen, außer in seiner Funktion als Seelsorger.«
    Ich hatte keinen Schimmer, was das
bedeutete, und ihren Mienen nach zu schließen, Maggie und ihr Anwaltskollege
anscheinend auch nicht. »Welche Aufgaben hat ein Gefängnisseelsorger?«, fragte
Maggie.
    »Man besucht Häftlinge, die jemanden
brauchen, dem sie sich anvertrauen, mit dem sie beten können«, erklärte ich.
»Man bietet ihnen Beratung, Lenkung, hält Andacht mit ihnen. Im Grunde ist man
ein Priester, der Hausbesuche macht.«
    »Wie sind Sie Gefängnisseelsorger
geworden?«
    »Meine Gemeinde, St. Catherine, erhielt
eine Anfrage von der Strafanstalt in Concord.«
    »Ist Shay katholisch, Father?«
    »Eine seiner Pflegemütter hat ihn
katholisch taufen lassen, somit ist er offiziell katholisch. Allerdings sieht
er sich selbst nicht als praktizierenden Katholiken.«
    »Wie funktioniert das dann? Wie können
Sie als katholischer Priester sein Seelsorger sein, wenn er sich nicht als
Katholiken sieht?«
    »Weil es nicht meine Aufgabe ist, ihn zu
missionieren, sondern ihm zuzuhören.«
    »Wann waren Sie das erste Mal bei Shay?«,
fragte Maggie.
    »Am achten März dieses Jahres«, sagte
ich. »Seitdem besuche ich ihn ein- oder zweimal die Woche.«
    »Hat Shay mit Ihnen über seinen Wunsch
gesprochen, Ciaire Nealon, der Schwester eines seiner Opfer, sein Herz zu spenden?«
    »Das war Thema unseres allerersten
Gesprächs«, erwiderte ich. »Wie oft haben Sie seitdem mit Shay über seine
Gefühle hinsichtlich dieser Transplantation gesprochen?“
    »Etwa zwanzig-, dreißigmal.«
    Maggie nickte. »Manche hier im Saal
glauben, Shays Wunsch, Organspender zu werden, sei ein Versuch, Zeit zu
gewinnen, und habe nichts mit Religion zu tun. Sind Sie auch der Ansicht?«
    »Einspruch«, sagte der andere Anwalt.
»Spekulation.«
    Der Richter schüttelte den Kopf. »Ich
lasse die Frage zu.«
    »Er würde heute sterben, wenn er sein
Herz spenden darf. Er will keine Zeit gewinnen, er will die Chance, mit einer
Methode hingerichtet zu werden, die es ihm ermöglichen würde, sein Herz zu
spenden.«
    »Lassen Sie mich den Advocatus Diaboli
spielen«, sagte Maggie. »Wir wissen alle, Organe spenden ist selbstlos, aber
wo ist die Verbindung zwischen Organspende und Erlösung? Hat Shay Sie irgendwie
überzeugen können, dass sein Wunsch zu spenden nicht bloß Ausdruck seines
Altruismus ist - sondern Ausdruck seines Glaubens?«
    »Ja«, sagte ich. »Als Shay mir von seiner
Absicht erzählte, hat er das mit sehr eindrucksvollen Worten getan. Es hörte
sich fast an wie ein sonderbares Rätsel: >Was in mir ist, wird mich retten.
Wenn ich es nicht hervorbringe, wird es mich töten.< Später fand ich heraus,
dass das nicht ursprünglich Shays Worte waren. Er hat jemanden sehr Wichtigen
paraphrasiert.“
    »Wen, Father Michael?«
    Ich blickte den Richter an. »Jesus
Christus. Er hat gesagt: >Wenn ihr das hervorbringt, was in euch ist, wird
das, was in euch ist, euch retten. Wenn ihr das, was in euch ist, nicht
hervorbringt, wird das, was in euch ist, euch töten.<«
    »Keine weiteren Fragen«, sagte Maggie,
und sie nahm wieder neben Shay Platz.
    Gordon Greenleaf blickte mich mit
finsterer Miene an. »Verzeihen Sie meine Unwissenheit, Father Michael. Stammt
das Zitat aus dem Alten oder dem Neuen Testament?«
    »Weder noch«, erwiderte ich. »Es ist aus
dem Thomasevangelium.«
    Der Anwalt blickte verdutzt. »Stehen denn
nicht alle Evangelien in der Bibel?«
    »Einspruch«, rief Maggie. »Die Frage kann
Father Michael nicht beantworten, weil er kein Experte für Religion ist.«
    »Sie wollten doch, dass er als Experte
zugelassen wird«, sagte Greenleaf.
    Maggie zuckte die Achseln. »Wogegen Sie
Einspruch erhoben haben.«
    »Ich formuliere meine Frage um«, sagte
Greenleaf. »Mr Bourne hat also etwas paraphrasiert, das nicht in der Bibel steht,
aber Sie führen es dennoch als Beweis dafür an, dass sein Wunsch,

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